Die Hilfseinrichtung "Ganslwirt" ist zu klein geworden

Foto: Standard/ Andy Urban

Drogenabhängige aus der Wiener Straßenszene finden seit 1990 Zuflucht und Hilfe im Ganslwirt. Für viele buchstäblich lebensrettend. Nun ist die Betreuungseinrichtung samt Ambulatorium auf der Suche nach einer größeren Unterkunft. Wien – "Diese verdammten Viecher." Charly kratz wie wild über seine Handrücken. "Da unter der Haut, siehst sie nicht? Die treiben mich zum Wahnsinn." In Letzterem hat der junge Mann mit der speckigen Baseballkappe tragischerweise Recht, er leidet unter Dermatozoenwahn. Wie viele exzessive Kokainkonsumenten bildet sich Charly ein, dass sich Insekten und Würmer in seinem Körper eingenistet haben.

Hilfe ohne Wenn und Aber

Beim Ganslwirt in Wien- Mariahilf sind derartige Halluzinationen keine Seltenheit. Wer hierher kommt, hat massive Suchtprobleme und erhält Hilfe ohne Wenn und Aber: warmes Essen, Dusche, Spritzentausch, Notschlafstelle, Beratung und ambulante Behandlung. Und das seit mittlerweile 15 Jahren.

Seit dem 24. November 1990 ist Österreichs bekannteste sozialmedizinische Drogenberatungsstelle, die vom ehemaligen Wirtshaus an der Ecke Gumpendorfer Straße/ Esterhazygasse den Namen übernommen hat, ununterbrochen geöffnet. Anfänglich für 30 Klienten gedacht, platzt die Anlaufstelle für Drogenabhängige aus der Straßenszene heute aus allen Nähten: "Alle sechs Minuten geht die Tür auf, pro Stunde werden mehr als 100 gebrauchte Spritzen gegen steril verpackte umgetauscht, jeden zweiten Tag leisten die Sozialarbeiter eine Krisenintervention, alle zwei Wochen führt das Ärzteteam eine lebensrettende Maßnahme durch", zieht Gerhard Schinnerl vom Verein Wiener Sozialprojekte Bilanz.

Problem Hepatitis

"Zu Beginn der 90er-Jahre war Heroin das Hauptproblem", sagt Margit Putre, die sozialarbeiterische Leiterin des Ganslwirtes. Doch der Kokain-Boom der vergangenen Jahre habe die Szene und damit auch die Betreuungssituation völlig verändert. Koks- Konsumenten leiden häufig unter Psychosen "und die können wir meistens hier nicht behandeln", so Putre. Was dem ärztlichen Team von Hans Haltmayer zudem große Sorgen bereitet, ist die enorm hohe Hepatitis-Infektionsrate. Mehr als 60 Prozent aller Abhängigen, die Heroin, Kokain oder andere Substanzen intravenös konsumieren, sind mit Hepatits C infiziert, jeder zweite mit Hepatitis B. Warum, ist noch ein Rätsel. Das Risiko von HIV-Infektionen konnte durch die Abgabe von sterilen Spritzen hingegen gemindert werden, rund 6,5 Prozent der Wiener Drogenkonsumenten sind HIV-positiv.

Fachleute plädieren für Konsumräume

Alle Fachleute plädieren jedenfalls dringend für Konsumräume, in denen Junkies unter ärztlicher Aufsicht Suchtgift konsumieren können. Denn oft setzen sich Abhängige der Straßenszene unter katastrophalen hygienischen Umständen einen Schuss. Politisch sind Konsumräume aber nicht durchsetzbar. Mit Ausnahme der Grünen sind alle Parteien dagegen. Auch der Ganslwirt könnte bald wieder wie in seinen Anfangszeiten politischen Widerstand und Bürgerproteste auslösen. Der Dachverein ist nämlich auf der Suche nach einer neuen, größeren Unterkunft für den Ganslwirt. Die Stadt Wien überlegt sogar einen Neubau – irgendwo mit U-Bahnanbindung. (Michael Simoner; DER STANDARD Printausgabe 25.11.2005)