Wien - Österreich hat ein ganzes Kaffeehaus voller Schriftsteller und Intellektueller verbraucht, die sich in Detail-und Fundamentalkritiken an den heimischen Zuständen ergingen. Trotzdem ist Österreich heute, was es eben ist. In besagtem Café Bernhard & Co. herrscht mittlerweile nachdenkliche Ruhe. Einer hat ihn allerdings wieder, den menassianischen Atem: der Choreograf Bernd Roger Bienert.
Sein jetzt im Semperdepot uraufgeführtes Tanzstück Alzburg : Eutopa hat etwas Anrührendes. Spricht doch zu Beginn ein von Albert Rueprecht verkörperter Herr in Frack und Hemdbrust ausufernd Salzburg aufschaufelnde Worte, wenn auch mit deutlicher Jelinek-Fahne. Und die muss noch ein Relikt aus Bienerts Sommer sein, als er bei Impulstanz 06 seine Choreografie Unruhiges Wohnen mit einem gleichnamigen Text der Autorin wieder aufführte.
Unter dem Hauch literarischer Verbilligung verblasst eine als Predigt inszenierte Kritik zum kabarettistischen Klamauk, der die über ihn angeprangerten Zustände mit billigem, altem Dekor verzuckert. Auch wenn es Kaisersemmeln auf die Tanzfläche hagelt, das Stück erholt sich auch während der folgenden Überlänge im Foyer des einstigen Kulissenlagers nicht mehr. Obwohl Bienert sich nun als kühl strukturierender Choreograf beweist, der die Eintönigkeit hinter dem alljährlichen "Alzburger" Pomp wohlgesetzt freilegt.
Bienert ist Gast des unlängst originell auf "homunculus" umgetauften "Tanztheater Homunculus", das es in Wien immer wieder versteht, abgestorbene Tanzware als lebendige Kunstpflanzen zu verscherbeln. Bienert choreografiert zwar besser als Nikolaus Selimov und Manfred Aichinger, doch die Atmosphäre der Company scheint auf ihn abgefärbt zu haben: Alzburg : Eutopa ist auf spekulative Vordergründigkeiten gebaut. Das vermag auch die schöne Musik von Karlheinz Essl, Christian Fennesz und Jay Schwartz nicht zu übertönen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2005)