Es war schon vor längerer Zeit. Aber erst als B. vom Mann mit dem sachdienlichen Verbots-Hinweis erzählte, fiel mir die Kunstledersitzgruppe wieder ein. Nicht, weil sie so hübsch war sondern weil sie am falschen Ort stand. Und obwohl es ganz offensichtlich war, dass hier Verbotenes geschah, störte es niemanden – im Gegenteil. Aber vermutlich wäre das anders aufgefasst worden, wenn ein Rollstuhl oder Kinderwagen Platz gebraucht hätte.
Die kunstlederne Sitzgruppe war nicht hübsch. Eher im Gegenteil. Sie bestand aus einer Doppelcouch und zwei einzelne Fauteuils. Die Farbe war irgendwo zwischen hellschwarz und dunkelbraun und das Ensemble war reichlich voluminös: Den mittleren Bereich des Autobusses füllte sie zur Gänze aus es war gerade noch soviel Platz, dass die vier Transporteure des Wohnzimmermonsters sich hinsetzen (in die Couchgruppe natürlich) konnten, andere Fahrgäste vorbei kamen und die Tür auf und zu gehen konnte.
Abverkauf
Nebenbei: Das Möbel war neu. Es war ein Abverkaufsprodukt eines großen Möbelhauses. Das sah ich an den überdimensionalen „Sonderangebots-„ und „Das muss raus“-Schildern auf den Sitzmöbeln. Auf denen stand auch, dass es sich um Fake-Leder-Fernsehmöbel handelte – ich hätte das zwar vermutet, aber sicher nicht gewusst.
Erstaunlicherweise stieß sich niemand an der Sitzgruppe im (ja genau:) 13A. Und als ein älteres Pärche einstieg und begann, die Stirn zu runzeln, unterliefen die beiden auf der Doppelcouch sitzenden jungen Männer das sich Gewitter durch schlichtes Aufstehen und Platzanbieten: Die Couch sei doch viel bequemer – und beim Aufstehen werde man den Herrschaften schon behilflich sein.
Salonwagen
Die Greise lächelten – und nahmen Platz. Und als die Möbeltransporteure aussteigen mussten, drohte der alte Mann sogar scherzhaft, nicht aufzustehen. Weil er sich doch gerade dran gewöhnt hätte, im Salonwagen durch die Neubaugasse zu gurken.
Erstaunlicherweise deckt sich B.s Erzählung von neulich ziemlich mit dem Buserlebnis. B. malt nämlich. Nicht groß-, sondern größtformatig. Und wenn er die – fertig gerahmten – Bilder irgendwohin bringt, benutzt B. meistens die U-Bahn. Auch, weil er Reaktionen sammelt. Weniger auf die Kunst (die Bilder sind verpackt) als auf die Veränderung des Raumes: B.s Bilder schieben sich wie Trennwände in die Waggons. Und blockieren die Durchgänge von den Sitzgruppen zum Stehbereich.
Rockertypen
Aufgeregt oder beschwert, erzählt B. habe sich da eigentlich noch nie jemand. Aber vielleicht, mutmaßt er, läge das ja auch daran, dass er und die Leute, die ihm beim Transport helfen, eher furchterregend aussehen: Groß, tätowiert, in Leder und mit Bärten. Rockertypen halt – dass sie alle kuschelweich sind, sieht man ja nicht.
Unlängst aber, erzählte B., sei er angesprochen worden. Von hinten. Er habe Mantel und Hut getragen, habe daher also eher zivil gewirkt. Die Stimme, erzählte B., habe amtlich geklungen und sei aus einem Lautsprecher gekommen: „Sie wissen eh, dass das verboten ist?“ Aber bevor er sich schuldbewusst-reuig-nachdenklich geben konnte, sei der Mann von der Stationsaufsicht schon neben ihm gestanden: „Sie malen?“
In Ordnung
B. sagte, er habe schüchtern genickt. Da habe der Stationswart dann etwas von. „Kulturnation“ und „kultureller Verpflichtung“ gesagt und sei zur Stationsgegensprechanlage gegangen: „Das ist in Ordnung. Sehr in Ordnung“, habe er mit offiziellem Gestus in die rote Box gesagt, sich Richtung U-Bahn-Fahrerkanzel gedreht mit dem Daumen nach oben gezeigt: Als er ein paar Stationen später ausstieg, sagt B. sei „alles Gute“ (oder so ähnlich) aus dem Lautsprecher gekommen. Und da habe er, sagt B., es auch gespürt: Das „die Stadt gehört dir“ sei eben doch mehr als nur ein blöder Werbeslogan. Manchmal zumindest. (Thomas Rottenberg)