Ihre Vorlage, eine Kinderbuchserie von C.S. Lewis, ist hier zu Lande wenig bekannt.
Es ist nicht unbedingt neu, dass Großproduktionen des Unterhaltungskinos sehr schnell Ideologiedebatten entzünden. Noch sind uns Vergleiche von Star Wars mit Leni Riefenstahl im Ohr. Der Herr der Ringe wird nicht erst seit seiner Verfilmung wegen der Anleihen in der nordischen Mythologie kritisiert. Selbst Harry Potter drohte schon in manchen Ländern aus diesen und jenen Gründen auf den Index zu kommen.
All diese Debatten, die im Endeffekt der PR der Filmverleiher und Verleger immer mehr genutzt als geschadet haben, scheinen aber harmlos im Vergleich zu den Disputen, die der jüngste programmierte Fantasyhit Die Chroniken von Narnia schon im Vorfeld auslöst. Nichts weniger als Anbiederung an fundamentalistische US-Christen wird dem US-Studio Disney, das heuer tatsächlich noch einen Hit zur Aufbesserung der schwachen Bilanzen braucht, vorgeworfen. Und Regisseur Andrew Adamson, bis dato als Schöpfer der beiden Shrek-Filme eher ein "Guter", soll ziemlich unglücklich darüber sein, dass sein neues Werk bei manchen Brancheninsidern derzeit unter "Die Passion Christi für Kinder" firmiert.
Wenn man hier zu Lande nun in Kinotrailern Tilda Swinton als eine Variation der "Schneekönigin" von Hans Christian Andersen sieht, digital animierte Tiergeschöpfe und die obligat heroischen Kids, dann mag die Vehemenz dieses Vergleichs mit Mel Gibsons Jesus-Folter-Drama überraschen. Tatsächlich steht die Vorlage des Films im angloamerikanischen Raum schon länger im Brennpunkt einschlägiger Neubewertungen.
Seit dem Erscheinen des ersten Romans Der König von Narnia (The Lion, the Witch and the Wardrobe, 1950) galt C.S. Lewis' siebenbändige Buchserie als Klassiker und Megaseller. Lange wurde Lewis (1898–1963), ursprünglich Altphilologe, Freund und Kollege von J.R.R. Tolkien in Oxford, als (verschrobener) Meister seines Fachs gefeiert – als wandelndes, phasenweise durchaus witziges Lexikon von Märchen- und Sagenmotiven, bei denen er sich ausgiebig (und nicht immer originell) bediente, wenn es darum ging, kindliche "Adamssöhne und Evatöchter" durch einen Wandschrank in ein phasenweise wild umkämpftes Paradies namens Narnia zu entführen, wo ein Löwe namens Aslan als "Sohn des Großen Herrschers" den christlichen Opfertod stirbt, um hernach göttlich wieder aufzuerstehen.
Im deutschen Sprachraum wurde dies (wie übrigens viele angelsächsische Klassiker von Beatrix Potter bis Kenneth Grahame oder Roald Dahl) nie wirklich wahrgenommen. Erst jetzt verkauft etwa der Wiener Ueberreuter-Verlag, der sich vor ein paar Jahren die Rechte sicherte, rund 50.000 Exemplare – teils, weil der deutsche Fantasyautor Wolfgang Hohlbein Neuübersetzungen mitverantwortet, teils, weil die Kinowerbung die Neugierde junger Leser weckt. Mit dem etwas bedächtigen Tonfall von Lewis, der zu durchaus sympathischen Vorleseabenden in Jungschar-Kellern ermutigen kann, hat das aber nur noch bedingt zu tun.
Zwar nahm der Autor mit seiner Taktik des "Anything goes" und der Entführung in künstliche Welten Motive der heutigen Computerspiele vorweg. Insgesamt eignet sich seine altväterliche Beschwörung des Guten und Schönen, durchsetzt mit eher behäbigen Schlachtbeschreibungen, nur bedingt für Breitwand und Dolby Surround: "Zu guter Letzt merkte er, dass das Ungeheuer verendet war." Schon Tolkien fand das übrigens eher nicht so großartig, was das Verhältnis zwischen ihm und Lewis nachhaltig trübte.
Disney, vom Erfolg des Herrn der Ringe angefixt, dürfte dennoch zuerst die Nähe der beiden im Hinterkopf gehabt haben, als man sich für Narnia als potenziellen Serienhit entschied. Die Frage, ob man wirklich jedes Jugendbuch als brachiales Schlachtenszenario inszenieren kann, scheint man sich eher nicht gestellt zu haben. Kritiker (denen der Film so spät wie möglich gezeigt wird) beschränken sich derzeit auf die Beobachtung interessanter PR-Methoden: So werden etwa Bibelgruppen in den Werbeverteiler einbezogen. Und parallel zum Soundtrack erscheint mit christlichen Narnia-Liedern – deutlich inspiriert von der Jesus- und Werte- Propaganda, dank der zuletzt Mel Gibsons Passion 600 Millionen Dollar einspielte.
Irre, oder? Die (Markt-)Wertedebatten sind jetzt schon vorprogrammiert. Narnia startet weltweit am 9. Dezember. (DER STANDARD, Printausgabe, 01.12.2005)