Erste Person Einzahl: Klaus Held.

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Wien - Da die phänomenologische Methode beinhaltet, sich selber, in der ersten Person, vorurteilsfrei zu beobachten, schließt sie vorschnelle Urteile, Stellungnahmen, gar Handlungsanweisungen aus: Mit dieser negativen Voraussetzung schränkt der Philosoph Klaus Held das Thema der Tagung ein, zu der er nach Wien gekommen ist: "Lebenswelt und Politik - Perspektiven der Phänomenologie nach Husserl" am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).

Immerhin könne man, sagt der emeritierte Professor der Uni Wuppertal, mit der durch Husserl, Heidegger und in weiterer Nachfolge Sartre, Levinas, Patocka und andere geprägten Vorgangsweise sein Urteilsvermögen besser schulen. Wenn auch etliche der phänomenologischen Vordenker entweder unpolitisch oder politisch sehr problematisch waren, soll das nicht davon abhalten zu überprüfen, was ein Verständnis "unserer Lebenswelt, unserer Eingebettetheit in subjektiven Horizonten" praktisch bringt.

Das Vokabular mag angesichts "harter" wissenschaftlicher Daten realitätsfremd klingen. Doch Klaus Held und die Tagungsorganisatoren Giovanni Leghissa (Uni Triest) und Michael Staudigl (Apart-Stipendiat am IWM) führen Beispiele an, wie eine in ökonomischen, Umfrage- und BWL-Kategorien befangene Sichtweise kürzer greift als dies alles relativierende Überlegungen.

Wobei sich die philosophische Frage nach dem Eigenen und dem Fremden nicht ohne weiteres von der persönlichen auf die soziale, gar internationale Ebene verallgemeinern lässt. "Gerade Phänomenologen müssen da vorsichtig sein", meint Held. Ohne eine Deutung der geschichtlichen Überlieferung, also ohne Hermeneutik, lässt sich sozusagen kein Staat machen.

Verhältnis Europa/Türkei

Und auch keine Frage etwa nach der Kompatibilität von Staaten beantworten. Konkretes Beispiel: Man kann nicht geschichtslos über das Verhältnis Europa/Türkei reden. Es gilt zu bedenken, dass sich Europa in einer Phase, nämlich im Mittelalter, in der Auseinandersetzung mit dem Islam konstituiert hat; dass diese Religionsgemeinschaft andererseits nicht auf ihrem Aufklärungsniveau geblieben ist; dass in der heutigen Türkei das Militär für schwere Vergehen verantwortlich ist, aber zugleich als Garant einer laizistischen Republik à la Atatürk agiert. Solche Widersprüche gelte es auszuhalten und zu berücksichtigen - "das hat uns Derrida mit seiner Rede von paradoxen Situationen gelehrt", sagt Leghissa.

"Und die dialektische Methode", fügt Held, nun wieder ganz Phänomenologe, hinzu, "ist nur ein Trick, um mit Paradoxa zurechtzukommen. Das hat schon Heidegger abgelehnt."

Was bleibt, ist eine Gratwanderung zwischen subjektivem Rückzug und unzulässiger politischer Handlangertätigkeit - bestenfalls zu einer Verbesserung der Urteilsfähigkeit. (Michael Freund, DER STANDARD, Print, 2.12.2005)