Sie ist ausgezeichnet kommuniziert worden, die erste Zinserhöhung im Euroraum seit fünf Jahren. Und dennoch bleibt sie einigermaßen unverständlich. Bereits vor zwei Wochen hatte der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, die Zinserhöhung angekündigt. Das war völlig außergewöhnlich und zeigte, dass auch die EZB verstärkten Kommunikationsbedarf sah, um die Märkte nicht zu überrumpeln - was wiederum belegt, dass es sehr wenige Umstände gibt, die eine Zinserhöhung zum jetzigen Zeitpunkt als logisch erscheinen ließen. Die EZB führt in ihrer Begründung vor allem die gestiegenen Inflationsgefahren als Begründung für die Zinserhöhung an. Von außen ist das nicht so leicht nachzuvollziehen. Die hohe Inflation in den vergangenen Monaten resultierte allein aus den hohen Öl- und Energiepreisen - und diese sinken seit Längerem wieder. Die um die Energiepreise bereinigte Kerninflationsrate dürfte nach Schätzungen der EU im kommenden Jahr hingegen kaum mehr als moderate 1,5 Prozent betragen.

Hohe Sparquote

Die EZB befürchtet, dass die teure Energie nun Schritt für Schritt auch alle anderen Waren verteuert - weil die Kosten an die Kunden weitergegeben werden - und so auch die Kerninflation anheizt. Dem kann man aber entgegenhalten, dass dazu auch eine normale Nachfragesituation herrschen muss. Zurzeit liegt allerdings die Sparquote so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Und das wird sich durch höhere Zinsen auch nicht wirklich ändern. In einem Markt, der vor allem durch Kaufzurückhaltung der Konsumenten geprägt ist, sind Preiserhöhungen nicht so leicht durchzusetzen. Und dass sich das Vertrauen der Konsumenten nicht rasch verbessern wird, liegt auf der Hand: Um die Arbeitslosigkeit merkbar zu senken, ist ein Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent oder mehr notwendig. Die OECD hat kürzlich ihre Prognosen für den Euroraum auf 1,4 Prozent für heuer und 2,1 Prozent für 2006 festgelegt. Logischer Schluss: Statt neuer Arbeitsplätze und mehr Vertrauen wird die Arbeitslosigkeit leider weiter steigen. Um die Kirche im Dorf zu lassen: Die Anhebung der Zinsen um 0,25 Prozentpunkte wird die Wirtschaft nicht umbringen und auf der anderen Seite auch die Inflation nicht wirklich eindämmen können, sofern es hier überhaupt einen Druck gibt.

Psychologische Seite zählt

Aber es ist die psychologische Seite, die zählt. Und so mancher vorsichtige Geschäftsführer wird vielleicht nun, da möglicherweise diese Zinserhöhung nicht die letzte war, Investitionen auf bessere Zeiten verschieben und so manche Familie eine Wohnungsrenovierung. Dazu trifft die Zinserhöhung vor allem untere Einkommenschichten und weniger reiche Unternehmen, die auf Kredit finanzieren, und denen so auch Kaufkraft entzogen wird - und gerade der Konsum dieser Schichten wäre wichtig. Damit stellt sich die Frage, warum die EZB schon jetzt diesen Schritt setzte. Ein weiteres Argument, das sie ins Treffen führt, ist die stark gestiegene Geldmenge, die in Umlauf ist. Dafür sind allerdings eher große Spieler wie Hedgefonds und Immobilienunternehmen verantwortlich, die die niedrigen Zinsen dafür nützten, um auf Kredit zu spekulieren. Das ist natürlich auch keine besonders wünschenswerte Entwicklung, aber vor dem Gesamtbild wäre eine Güterabwägung sinnvoll gewesen. Und hier hätten Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum Vorrang haben müssen, denn Hedgefonds wären auch über strengere Eigenmittelvorschriften zu bremsen gewesen. Die Zinsen erst im kommenden Herbst anzuheben, wie dies die OECD vorschlug, wäre ein vernünftiger Kompromiss gewesen. Auch wenn die EZB in ihren Aussendungen betont, mit der Zinserhöhung der Wirtschaft nicht zu schaden - allein das Signal ist schädlich und zeigt, dass die Zentralbank weiterhin die Wirtschaft nur aus der Sicht von Stabilitätshütern betrachtet. Sie bringt Stabilität, wo doch Dynamik das weitaus dringlichere Anliegen ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.12.2005)