derStandard.at: Freitag früh wurde in den USA der 1000. Häftling seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 hingerichtet worden. Mit welchen Argumenten wurde die Todesstrafe damals wieder eingeführt?

Gratz: In diesem Schritt hat sich ein gesellschaftspolitischer Wandel in den USA ausgedrückt, der "Vergeltung" als sinnvolles Mittel im Strafvollzug sah. Nach dem Motto: Aug um Aug, Zahn um Zahn. Die Wiedereinführung der Todesstrafe war ein Schritt weg von der Rehabilitation von Straffälligen hin zu deren Ausgrenzung. Auf der anderen Seite stand das Argument, dass die Todesstrafe wirkungsvoll davor abschrecken würde, Gewaltverbrechen zu begehen.

derStandard.at: Gibt es Studien, die dieses Argument stützen?

Gratz: Gerade in den USA gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass die Todesstrafe nicht vor Gewaltverbrechen abschreckt. Der Vergleich in Bundesstaaten mit ähnlicher Sozialstruktur – wo in einem die Todesstrafe angewandt wurde und im anderen nicht – ergab, dass die Häufigkeit von Tötungsdelikten durch die Todestrafe nicht beeinflusst wird. Auch nach der Wiedereinführung der Todesstrafe in manchen Bundesstaaten sind Tötungsdelikte nicht zurückgegangen.

derStandard.at: Seit 1990 sind über 100 Menschen zum Tode verurteilt worden, deren Unschuld später bewiesen wurde. Wie wird in diesen Fällen von der US-Justiz argumentiert?

Gratz: Das wird als unbeabsichtigte "Nebenfolge" eingestuft, das Versprechen folgt, dass die Qualität der Rechtssprechung verbessert werde.

derStandard.at: Der berühmteste Todeshäftling der USA, der Gang-Gründer und Kinderbuch-Autor Stanley "Tookie" Williams hofft auf eine Begnadigung durch Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Ist der Gouverneur die einzige Person, die ein Todesurteil aufheben kann?

Gratz: Nachdem alle ordentlichen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, hat nur das jeweilige Staatsoberhaupt die Möglichkeit der Begnadigung.

derStandard.at: Es ist eine Tatsche, dass der Anteil sozial Benachteiligter im Todestrakt höher ist, als von Leuten, die sich einen Spitzenanwalt leisten können.

Gratz: Das ist etwas, was sich international durchs Strafrechtssystem zieht. Schon die Wahrscheinlichkeit beamtshandelt zu werden, vor Gericht zu kommen und verurteilt zu werden ist in Abhängigkeit der Schicht zu sehen. Da spielt nicht nur Geld eine Rolle sondern auch persönliches Auftreten und der Eindruck, den man gegenüber dem Gericht macht.

derStandard.at: Die Todesstrafe ist in den USA viel diskutiert. Wie stehen die Chancen, dass sich die GegnerInnen durchsetzen?

Gratz: Aus Sicht der historischen Entwicklung ist es durchaus möglich, dass es wieder einen Trend weg von der Todesstrafe gibt. In der Nachkriegszeit hat der Großteil der Staaten zum Beispiel noch die Todesstrafe angewandt, derzeit sind es nur mehr wenige Staaten, die im Durchschnitt mehrere Hinrichtungen pro Jahr durchführen. Ein Umschwung der öffentlichen Meinung weg von der Akzeptanz der Todesstrafe hin zur Ablehnung ist jedoch aktuell meiner Meinung nach nicht in Sicht. Die Geschehnisse nach 9/11 und der Kampf gegen den Terrorismus in den USA begünstigen nicht unbedingt ein liberaleres Klima.

derStandard.at: Im Internationalen Vergleich: Wo stehen die USA?

Gratz: Die USA haben derzeit über 700 Häftlinge pro 100.000 Personen der Bevölkerung. Vor 20 Jahren waren es noch 400. Nur in den GUS-Staaten gibt es ähnlich hohe Häftlingsraten wie in den USA. Österreich bewegt sich derzeit bei 110 Häftlingen. Die USA setzen darauf, soziale Probleme und abweichendes Verhalten nicht mit sozialen sondern mit strafrechtlichen Maßnahmen zu regulieren. Es gibt Bevölkerungsgruppen wie die der Farbigen im Alter von 20 bis 30 Jahren, wo jeder dritte unter strafrechtlicher Kontrolle ist oder war. (mhe)