Baden - Die ÖBB gehen mit ihrem Großprojekt eines europäischen Lok-Pools in die Realisierungsphase. Generaldirektor Helmut Draxler will dem Aufsichtsrat am 29. Juni beschlussfähige Unterlagen für ein internationales Joint Venture unter ÖBB-Führung mit ein oder zwei internationalen Partnern präsentieren. Als mögliche Partner nannte Draxler heute zwei große amerikanische Logistikkonzerne, die auch in der Luft- bzw. Schifffahrt tätig seien sowie einen "sehr kapitalstarken Europäer". Testbetrieb Gedacht sei an ein Joint Venture mit 50 Prozent ÖBB-Beteiligung, in das die von ÖBB und Siemens gemeinsam gebauten Taurus-Hochleistungsloks eingebracht werden, von denen derzeit zehn Stück im Testbetrieb in Österreich im Einsatz sind. 175 Taurus-E-Loks und 100 Dieselloks haben die ÖBB fix bestellt, eine Option auf mehr als 200 Taurus-Loks wird laut Draxler wahrscheinlich eingelöst. Vom Joint Venture-Partner erwartet Draxler, dass dieser eben so viele Loks als Sacheinlage einbringen wird, in ein bis zwei Jahren sollte der Pool einen Bestand von 1.000 Loks mit einem Anlagewert von 25 bis 30 Mrd. S (bis zu 2,2 Mrd. Euro) zur Disposition haben, die ÖBB werden also mehr als 13 Mrd. S investieren. Als Endziel nannte Draxler 2.000 bis 2.500 Loks, die zum Teil aus den Gewinnen des funktionierenden Pools finanziert werden sollen. Bei einem gesamteuropäischen Lokbedarf von 5.000 bis 5.500 Stück hätte der ÖBB-Pool einen Marktanteil von fast 50 Prozent. Lokbau in Linz Der Bau der Loks soll in der ÖBB-Werkstätte Linz erfolgen, mit einer Kapazität von 100 Stück pro Jahr. Darüber hinaus sind zwei weitere Produktionsstandorte im EU-Raum geplant. Parallel zum Lok-Pool wollen die ÖBB auch als Energie-Handelshaus auftreten, als größter europäischer Lieferant von Spitzenstrom, mit einer Spitzenleistung der ÖBB-Speicherkraftwerke von 450 Megawatt. Ein weiterer internationaler Pool schwebt Draxler bei Industriewaggons vor, die ebenso wie die Loks an Bahnbetreiber in ganz Europa vermietet werden sollen. Speditionscluster Im angestammten Gütertransport wollen die ÖBB in einen Speditionscluster, eine europäische Speditionsholding unter ÖBB-Führung ihr Umsatzziel im Gütertransport von bisher 20 Mrd. S auf 25 bis 26 Mrd. S im Zeitraum 2003/04 ausweiten. Unsere neue Herausforderung ist nicht mehr die Bahn im klassischen Sinn, verwies Draxler auf die Deutsche Post, die bereits Speditionen, darunter Danzas, Nedlloyd und ein US-Logistikunternehmen gekauft hat. Mit dem heurigen Güterverkehrsgeschäft zeigte sich Draxler außerordentlich zufrieden, nach drei Monaten habe der Güterverkehr im Vorjahresvergleich um 24 Prozent zugelegt. "Alles, was rollen kann, ist derzeit unterwegs", sagte Draxler. Das Quartalsergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) sei im ersten Quartal 2000 im Jahresvergleich um das 2,5-Fache übertroffen worden. Wenig Freude hat Draxler dagegen mit der Erhöhung der Stromabgabe von 10 auf 20,6 Groschen je Kilowattstunde ab 1. Juni 2000. Die Bahn, die nicht wie die Industrie, eine Deckelung bei der Energiesteuer zugestanden bekommen habe, werde dadurch im Ergebnis mit 500 Mill. S pro Jahr zusätzlich belastet. (APA)