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Das letzte Foto, das den Ex-Beatle lebend zeigt: John Lennon signiert Mark Chapman sein Album "Double Fantasy". Wenige Stunden später tötet Chapman Lennon mit fünf Schüssen.

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Charismatiker! Drogensüchtiger! Hippie! Heiliger! Sünder! Genie! Rabenvater! Weltverbesserer! Antichrist! Frauenheld! Feminist! Die Projektionen auf die Figur John Lennon sind meist viel-, manchmal auch nur einfältig. Trotz aller Abstriche lautet ihr Grundtenor jedoch meist: John Lennon war ein Guter. Kein bis zur Biederkeit Braver wie Paul McCartney, sondern eine Lichtfigur mit Schattenseiten. Mit Abgründen, in die sie zu blicken wagte. Später, nachdem die Beatles zur populärsten Band der Welt, ja, laut Selbsteinschätzung "größer als Jesus" geworden waren und sich am Ende der "Roaring Sixties" aufgelöst hatten.

Seine Mutter, die Lennon kaum kannte, starb, als er 17 war, sein Vater verließ die Familie bereits zwölf Jahre zuvor. Aufgezogen hatte ihn seine Tante Mimi. Der selbst ernannte Working Class Hero kam aus der Mittelschicht.

Das Beste, das dem Mann je "passierte", war Yoko Ono, seine zweite Frau, die er 1969 heiratete. Die in der Beatles-Zerstörungs-Fama als wesentliche Protagonistin gehandelte Avantgardekünstlerin half ihm, persönlich und künstlerisch zu wachsen. Sie ermutigte ihn, sich seine Ängste (Mother – "You had me but I never had you") aus dem Leib zu schreien und den Beatle in sich zu überwinden: "I don't believe in the Beatles, I just believe in me, Yoko and me, that's reality". Aus God.

Die Welt verändern

1970, nach dem Split der Beatles, ging der am neunten Oktober 1940 im englischen Liverpool Geborene nach New York und wurde Teil dieser Stadt – ein Aushängeschild wie Woody Allen, Andy Warhol oder Lou Reed. Im Big Apple wurde der Weltstar zum Weltbürger. Als solcher war er einer der Ersten, die ihre Popularität nicht nur als Selbstzweck begriffen, sondern damit etwas verändern wollten – konsequenterweise gleich die Welt.

Und zwar mit bis dahin wenig geläufigen Mitteln: Die private Glückseligkeit wurde schamlos öffentlich gemacht: Nackig mit Yoko auf Plattencovern und Titelbildern. Tagelang mit Ono im Bett... So bescheuert dieser Aktionismus auch gewesen sein mag, er erreichte die Massen, und keiner war in der Verkörperung seiner Anliegen seitdem so glaubwürdig wie er. Bob Geldof? Bono Vox? Lächerlich.

Lennon schenkte der Welt Give Peace A Chance – jenes in schwer bekifftem Zustand eingespielte Weltverbesserungsmantra, das, so doof man es auch finden will, den Gedanken des Weltfriedens auf fünf Kontinente trug und einer der populärsten Slogans des 20. Jahrhunderts wurde.

Mit geringen Mitteln große Wirkung zu erzielen, darin war Lennon ein Meister. Von den frühen Tra-la-la-Liebesliedern der Beatles bis zu Imagine, einem anderen Jahrhundertstück, mit dem er sich verewigt hat – sie alle funktionierten ähnlich: eine eingängige Melodie mit einem oft bis an die Grenzen der Erträglichkeit reichenden idealistischen Text.

Die berühmteste Nickelbrille der Welt (gleichauf mit Mahatma Gandhi) vereinte so Botschaften mit Befindlichkeiten zu perfekten Popsongs. Trotzdem erreichte keines seiner Soloalben je den Status eines musikhistorischen Referenzwerks. Macht nichts: Sein Erbe besitzt die Leidenschaft und die Besessenheit, die Rock 'n' Roll ausmachen. So hieß auch sein Album aus 1975: Rock 'n' Roll. Danach zog sich Lennon fünf Jahre lang aus dem Geschäft zurück und widmete sich ganz seinem zweiten Sohn Sean.

Als er 1980 mit Double Fantasy wieder ein Album veröffentlichte, war von den Veränderungen, die in dieser Zeit vor seiner Haustür passiert waren, nichts zu merken: kein Punk, kein Post-Punk, keine New Wave. Diese Revolutionen registrierte nur Yoko Ono. Die Reaktionen der Kritik auf Lennons Comeback waren entsprechend lau. Sechs Wochen später schoss das Album weltweit an die Spitzen der Charts – aus dem denkbar traurigsten Anlass.

Fünf Schüsse

Am Abend des 8. Dezember 1980 wurde John Lennon vor dem Dakota Building in Manhattan von Mark Chapman erschossen. Es war das erste Attentat der Popgeschichte. Als Chapmans wirrer Wachtraum, er sei der Fänger im Roggen – aus J. D. Salingers gleichnamigem Bestseller –, nach fünf Schüssen auf Lennon zu Ende und der Musiker am Weg ins Krankenhaus verstorben war, weinte die Welt. Chapman, ein damals 25-jähriger christlicher Fundamentalist mit Minderwertigkeitskomplexen und einem daraus folgenden Geltungsdrang, wurde im selben Jahr zu zwanzig Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Seit 2000 wurden die Entlassungsansuchen des Texaners dreimal abgelehnt. Yoko Ono hatte diese Entscheidungen öffentlich unterstützt.

Wie kein anderer Popstar verkörperte Lennon das Positive in einer tendenziell negativen Welt. 25 Jahre nach seinem Tod ist Lennon größer als je zuvor. Nach Elvis Presley gilt er als der bedeutendste Musiker der Popgeschichte. (DER STANDARD, Printausgabe, 07.12.2005)