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Die im Vorfeld des UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft (World Summit on Information Society, WSIS) in Wien erarbeiteten so genannten "Vienna Conclusions" beziehungsweise vielmehr die nachträglichen Änderungen am Positionspapier (der WebStandard berichtete ) sorgen weiter für Aufregung.

Offener Brief

Dem WebStandard liegt nun ein offener Brief von Reinhard Müller, einem österreichischen Repräsentanten der Free Software Foundation Europe (FSFE) vor, der an den Microsoft-Chef Steve Ballmer gerichtet ist. Darin wird noch einmal auf die "Vienna Conclusions" und die nachträglichen Änderungen eingegangen. Den kämpferischen Brief können Sie nun im Original nachlesen:

Sehr geehrter Herr Ballmer,

wie wichtig es doch ist, zuverlässige und wachsame Mitarbeiter zu haben: Im Juni fand eine Konferenz zur Vorbereitung des UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Wien statt. Das Ergebnis - die "Vienna Conclusions" - sollte dann der UNO vorgelegt werden. Dort allerdings war ursprünglich vom "Erfolg von Freier Software" die Rede, und das rief dann Ihren Statthalter Thomas Lutz auf den Plan. Denn er weiß genauso wie Sie, dass der Erfolg von Microsofts wichtigstem Wettbewerber, dem unter einer freien Lizenz stehenden Betriebssystem GNU/Linux, totgeschwiegen werden muss. Sie können stolz auf ihn sein: seiner Intervention wurde widerstandslos stattgegeben, und jegliche Erwähnung von Freier Software wurde ohne weitere Diskussion aus dem Papier entfernt - ohne jene auch nur zu informieren, die es ursprünglich ausgearbeitet hatten.

Microsoft war aber nicht die einzige Organisation, die nachträgliche Änderungen am Ergebnis der Konferenz durchsetzte: Carina Felzmann, Abgeordnete zum Nationalrat und in dieser Funktion in die Konferenz involviert, reklamierte DRM (Digitales Restriktions Management) als Mittel zur "ständigen Innovation" in das Papier. Welch ein Zufall, dass sie über die "Creativ Wirtschaft Austria" auch enge Bindungen zur IFPI Austria hat, dem Verband der österreichischen Musikwirtschaft, der versucht, mit genau diesem DRM die Musikkonsumenten unter seiner Fuchtel zu halten! Sie sehen also, Herr Ballmer, auch Sie können sich noch steigern: andere Branchen haben ihre Leute bereits im Parlament und brauchen gar nicht mehr zu intervenieren.

An den Kosten wird es ja kaum scheitern: Im Kartellverfahren der Europäischen Kommission gegen Microsoft waren ursprünglich SUN, Novell und Real Networks beteiligt. Innerhalb des letzten Jahres haben Sie es allerdings geschafft, sich das Schweigen dieser Konzerne jeweils mit Beträgen zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden US-Dollar zu erkaufen.

Weltweit gab es bislang rund zwei Dutzend Kartellverfahren gegen Microsoft wegen wettbewerbsschädigendem Verhalten. Keines davon war in der Lage, tatsächlich etwas an diesem Verhalten zu ändern. Würden Sie es schaffen, dass sich auch der derzeitige Prozess in Europa im Sand verläuft, so bräuchte der Konzern wohl keine weiteren Verfahren mehr zu fürchten: Welcher Staatsanwalt sollte sich die Mühe machen, gegen einen Konzern zu ermitteln, dessen große Geldbörse Handlanger in allen Kreisen von Politik und Wirtschaft gefügig macht? Ein Durchbruch Ihres Lobbyings!

Symptomatisch ist dabei auch, gegen welche Auflagen Sie sich am meisten wehren: das Bußgeld haben Sie aus der Portokassa bezahlt, und auch das Herauslösen des Mediaplayers aus dem Windows-Betriebssystem haben Sie, wenn auch zähneknirschend und halbherzig, umgesetzt. Wogegen Sie sich aber mit Händen und Füßen wehren, ist eine Strafe, die viel schlimmer für Sie wäre: Sie sollen Spezifikationen über die Kommuniation zwischen Windows-Servern und Windows-Arbeitsplätzen verfügbar machen, sodass auch andere Programme wie das zunehmend erfolgreiche "Samba"-Projekt uneingeschränkt als Server für Windows-Arbeitsplätze dienen können. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Microsoft sich dem freien Wettbewerb stellt. Haben Sie wirklich so große Angst davor, dass sich Windows langfristig als technisch unterlegen herausstellen könnte?

Jedenfalls setzen Sie alle Hebel in Bewegung, die Zusammenarbeit anderer Systeme mit Windows schwieriger und schwieriger zu gestalten: Schnittstellen werden geheimgehalten, regelmäßig verändert, verschlüsselt und seit neuestem auch noch patentiert. Welches Unglück für Sie, dass das Europäische Parlament im Sommer dieses Jahres der Patentierbarkeit von Rechenregeln und Geschäftsprozessen nach amerikanischem Vorbild eine endgültige Absage erteilt hat. Nicht einmal die angeblichen Erpressungsversuche Ihres Altmeisters Bill Gates gegenüber dem dänischen Ministerpräsidenten konnten etwas daran ändern. Die europäische Wirtschaft ist vom Damoklesschwert "Softwarepatente" - zumindest vorerst - befreit.

Sollten Sie also tatsächlich von der Musikindustrie etwas lernen können? DRM-Systeme, bei denen der Anbieter auch nach dem Verkauf eines Mediums noch die Kontrolle darüber behält, wie oft und unter welchen Bedingungen ein Abspielen möglich ist, klingen ja wie das Schlaraffenland. Tatsächlich schlagen Sie ja mit Ihrem "Musikmietmodell" Janus in die selbe Kerbe: Der Anwender soll die Musik, die er sich aus dem Internet lädt, nicht immer und überall hören dürfen, sondern nur mit dem Gerät, mit dem er es aus dem Netz geladen hat. Sobald das Gerät an einem anderen Standort aufgestellt wird oder das Musikstück auf einem anderen Endgerät abgespielt werden soll, fallen zusätzliche Gebühren an. Doch auch solche Abzocke funktioniert nicht so einfach, wie man es sich wünschen würde: So musste Sony BMG dieser Tage Millionen CDs aus dem Handel nehmen, weil das DRM-System heimlich ein Programm auf dem abspielenden Computer installiert, das die Funktion und Sicherheit des Rechners maßgeblich beeinträchtigt. Wir erwarten mit Spannung, in welcher Höhe der Konzern Schadenersatz leisten muss.

Wenn Sie Freie Software als "Krebsgeschwür" bezeichnen, sorgen Sie sich dann wirklich um die Gesundheit der Wirtschaft? Nein, Herr Ballmer, Sie sorgen sich um Ihre eigene Macht, die nur darauf aufbaut, die Anwender Ihrer Software von Ihnen abhängig zu machen und mit technischen und rechtlichen Maßnahmen an Sie zu binden. Was Ihnen Sorge bereitet, ist das auch in der Wissensgesellschaft nicht totzukriegende Streben nach Freiheit: vom freien Entwickler, der seine Software einzig und allein nach den Bedürfnissen seines Kunden entwickelt, bis zum freien Anwender, der nicht mehr auf Gedeih und Verderb einem Monopolisten ausgeliefert ist. Ich versichere Ihnen: Diese Sorge besteht zu Recht. Die FSFE sorgt dafür.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Müller Österreichischer Repräsentant der Free Software Foundation Europe (FSFE)