Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war am Sonntag. Da hat mich dann mein (bescheidenes) Wissen über Kinder vollends verlassen. Dabei war ich gewarnt worden: G. – der Vater der Zwerge – hatte mir schließlich erzählt, dass seine Kinder anders wären. Besonders. Und dass er sich deswegen Sorgen mache.

Aber weil ich derlei bisher von allen Kindbetreibern in meinem Umfeld gehört hatte und davon ausgehe, dass Sich-Sorgen-Machen eine der Hauptgruppen im Systemordner „Eltern sein“ ist, habe ich der Warnung keine Bedeutung zugemessen. Und bin eingefahren.

Fahrtendienst

Wir hatten die Mädchen – eine vier, die andere fünfeinhalb Jahre alt – im Auto. Für eine mittellange Fahrt. Zwei liebenswürdige, entzückende Monster. Manchmal. Aber zum Glück waren die beiden diesmal pflegeleicht. Bis ich auf die Bordverpflegung kam.

Als Nicht-Erzieher hatte ich mir das Recht ausbedungen, die beiden verwöhnen zu dürfen. Also mit Trash zu bestechen. Auf dass wir eine entspanntere Zeit hätten. Ich hatte G. zuvor um seine Zustimmung gebeten. Und sein „Großartig! Bitte stopf ihnen Burger, Pommes und Schokolade rein“ hätte mich stutzig machen sollen.

Angesichts des gelben M am Autobahnrand schlug ich einen Burgerstop vor. Und erntete Hohnlachen aus den Kindersitzen. Ich tippte darauf, dass die beiden Damen den Unterschied zu B-Burgern kannten (ein Unterschied, der im übrigen zum Bruch mit der Mutter zweier anderer Kinder geführt hatte: Die Kinder hatten erzählt, dass es dort besser als bei M sei. Blöderweise bekleidet Muttern in der M-Konzernhierarchie eine relevante Stelle) – und fuhr total ein:

Sushi

„Wir wollen Sushi“ kam aus dem Fond. „Mit grüner Paste und der Seife“, spezifizierte die Ältere. Ich schob Schokolade nach hinten. Sie flog mir um die Ohren: „Sushi! Sushi!“ – „Und was Scharfes!“. Ich schlug Pizza vor. Spaghetti. Fischstäbchen. Pommes. Lasagne. Kartoffelpüree. Pudding. Sinnlos: „Grüne Sushipaste!“.

Ich rief G. an. Der schien gewartet zu haben: „Ernährungsfragen?“, fragte er beim Annehmen des Anrufes. Und dann erzählte er, dass seine Töchter Kinderessensverweigerer seien: Süßigkeiten, Junkfood, Würstel, reguläre Dinge zum Mit-den-Fingern-essen – all das würde verweigert. Fettes und Triefendes abgelehnt. Aber alles scharf Gewürzte, Saure, Schweißtreibende oder schwierig Zuzubereitende oder zu Essende begeistere sie. Gesundes auch: „Fades Glutenzeug genauso wie Fisch, Wild oder Gemüse“. Letztens habe die Jüngere ein Curry so nachgewürzt (und ohne mit der Wimper zu zucken gegessen), dass ihm vom Danebensitzen der Gaumen gebrannt hätte.

Zahnbewusst

Seit die beiden dann vor etwa drei Wochen mit dem Hinweis, das sei schlecht für die Zähne, ungesund und schmecke auch nicht gut, der Großmutter einen Korb Süßigkeiten vor die Füße geknallt hätten, sagte G., mache er sich aber echte Sorgen. Er wisse nicht, was er falsch gemacht habe – neulich habe auch die Kindergartenleiterin ihn auf das Essverhalten angesprochen.

Ich dachte natürlich zu kurzfristig – und gratulierte G. dazu, dass die beiden Mädchen gegen die Verlockungen der Trash-Futterwelt imnun wären. Wir wüssten doch alle, wie schwer wir uns täten, zumindest ansatzweise vernünftig zu essen. Aber G. erklärte mir, dass ich ahnungslos sei: Er sei für den Augenblick ja auch beinahe glücklich – aber wenn er daran denke, wie dieses jetzige Essverhalten dann in diversen Trotz- und Pubertätsphasen konterkariert werden würde (um ihm eins auszuwischen), würde ihm übel.

Ich verstand. Wir bogen von der Autobahn ab. Beim Drive-In-Schalter orderte ich Junkfood für eine Kompanie. Die Mädchen heulten – aber sie blieben standhaft. Bis sie zu Hause waren. Dort bekamen sie dann Sushi. Mit einem Berg Wasabi. Die Vierjährige aß mit Stäbchen.