Grabungsort Beit Bashir in Assuan: Viel Zeit bleibt Archäologen zur Rekonstruktion der antiken Stadt Syene nicht: Grundeigentümer wollen ihre Neubauten hochziehen.

Foto: STANDARD/Frefel
"Gibt es hier Gold?", wundern sich Einheimische, wenn sie die ausländischen Archäologen in der Altstadt von Assuan graben sehen. Aber die Experten des Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo sind nicht auf spektakuläre Einzelfunde aus, sie haben das antike Syene im Blick, jene Stadt, in der der Gelehrte Eratosthenes 224 vor Christi anhand der Schatten vermutete, die Erde sei eine Kugel, und erstmals ihren Umfang mit 40.000 Kilometern errechnete.

An einer zentralen Ader der südlichsten Stadt Ägyptens ragt einer der gesichtslosen sechsstöckigen Neubauten empor, die das Stadtbild prägen. Hier wurde 2002 die erste Notgrabung unternommen: Nur eine Woche hatte Institutsdirektor Cornelius von Pilgrim damals Zeit, um sich einen Einblick in den antiken Untergrund zu verschaffen.

Ein paar Ecken weiter klafft heute wieder eine große Baulücke. Die Bagger sind verschwunden, und in einer Tiefe von etwa sechs Metern arbeiten Archäologen und ägyptische Quftis - hoch spezialisierte Arbeiter aus dem Dorf Quft, nördlich von Luxor.

Neben Mauerresten sind Treppen, Straßen, Öfen und Speicher auszumachen. Am Rand der Baugrube sind Zeitperioden zu erkennen. Im Areal Nr. 15, dem Beit Bashir, haben die Forscher das Glück, dass der Besitzer des Grundstückes noch in Kuwait weilt und keinen Zeitdruck ausübt. "Wir graben die Geschichte der menschlichen Aktivitäten aus. Wir haben viele Waffen und Militärausrüstungen, aber auch Amphoren aus der Levante und Kleinasien gefunden. Wir nehmen an, dass dieses Gelände militärisch genutzt wurde", erklärt Grabungsleiter Peter Müller.

Früher wurden in Ägypten vor allem Tempel ausgegraben, das Leben in dazugehörenden Städten interessierte wenig. Assuan ist heute jedoch Pilotprojekt für Stadtarchitektur. Wer bauen will, muss dem Antikendienst Bescheid geben. Dieser schickt seine Inspektoren, wenn mit dem Aushub begonnen wird. Stoßen sie auf antikes Kulturgut, werden die Arbeiten gestoppt, die ägyptischen Behörden informieren von Pilgrim, der dann entscheiden muss, ob sich eine Notgrabung lohnt. Die Zeit, die ihm dazu eingeräumt wird, ist Verhandlungssache, hin und wieder juristischer Streitfall, meist aber zu kurz. Grundstückseigentümer befürchten eine Verzögerung für ihre Projekte und damit wirtschaftlichen Schaden. Eine Notgrabung musste bereits gestoppt werden, da sich der Anwalt eines Bauherrn durchgesetzt hatte. "Wir weinen aber nicht um das, was verloren ist. Was zu bearbeiten ist, ist noch immer genug", tröstet sich von Pilgrim.

Indiz auf Haupttempel

Jede Grabung wird eilig fotografiert, dokumentiert, die Ergebnisse wissenschaftlich aufgearbeitet. Mit jeder untersuchten Parzelle werden die Vorstellungen über die Ausdehnung der Stadt in römischer und griechischer Zeit genauer. "Syene war eine große Stadt am Rande des Imperiums mit einem Standard an Architektur, der dem der mediterranen Welt entsprach. Die Grenzstadt mit Söldnern aus unterschiedlichsten Gegenden war ein Schmelztiegel vieler Einflüsse", fasst Müller die bisherigen Erkenntnisse zusammen. Mächtige Granitblöcke sind Indiz, dass es irgendwo auch einen großen Haupttempel geben muss. Den möchten die Forscher finden. Zudem suchen sie nach den Friedhöfen, denn Gräber und ihre Beigaben liefern die wertvollsten Erkenntnisse.

"Pharaoni" heißt das Zauberwort in Ägypten. Bei der jüngsten Grabung Nr. 23, im Souk, stießen die Forscher überraschend auf Mauerreste aus der pharaonischen Spätzeit und einen riesigen Granitblock. Vielleicht ist hier einmal das Nilufer verlaufen, und der Block war bereit zum Abtransport. Dass die pharaonische Besiedlung ein so weites Gebiet umspann, war für die Archäologen eine Sensation.

Genügend Zeit zur Erforschung der Nr. 23 lässt ihnen der Grundstückbesitzer aber nicht. Er drängt darauf, dass die Parzelle freigegeben wird und er seinen Neubau hochziehen kann. Und so wird die pharaonische Mauer bald wieder zugeschüttet, genauso wie die griechischen und römischen Funde aus früheren Notgrabungen. Damit von den Erkenntnissen etwas sichtbar bleibt, soll ein historischer Lehrpfad angelegt werden. Dann werden Tafeln auf Neubauten erklären, welche antiken Schätze sie verbergen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 12. 2005)