Kosovo
Ein Schuman-Plan für Bosnien und Herzegowina?
Gerald Knaus
Die Nachkriegsordnung in Ex-Jugoslawien ist fragil, die Folgen eines Zusammenbruchs wären katastrophal. Der vor 50
Jahren bekannt gegebene Schuman-Plan könnte für die internationale Gemeinschaft eine hilfreiche Inspiration sein, um
bisherigen Fehltenwicklungen entgegenzuwirken:
Fünf Jahre nach dem Ende eines anderen bitteren Krieges wurde damals die politische Integration von wirtschaftlichen
Schlüsselsektoren (Kohle und Stahl) in Frankreich und Deutschland zum konkreten Schritt in eine neue Ära. Die
Montanunion war zivile Friedenspolitik, ihr Herzstück der Gedanke, durch starke, supranationale Institutionen die Logik
entgegengesetzter nationalstaatlicher Interessen dauerhaft zu verändern und durch die schrittweise "gemeinsame Verwaltung
gemeinsamer Probleme" zu ersetzen. Gemeinsame Märkte unterstützten Wirtschaftswachstum, gemeinsame Institutionen
schufen Vertrauen, eine Großmacht (die USA) unterstützte den Prozess aktiv von außen.
Umgesetzt auf Bosnien und Herzegowina bedeutet dies, die in der bosnischen Verfassung stehenden Prinzipien des
gemeinsamen Marktes und der Bewegungsfreiheit (von Personen, Gütern, Kapital und Dienstleistungen) ernst zu nehmen und
die im Daytoner Vertrag vorgesehene gemeinsame Nutzung der grundlegenden Infrastruktur (Telefon-, Strom- und
Verkehrsnetze) zu institutionalisieren.
Das Gegenstück im heutigen Bosnien zur Kohle und Stahlindustrie der 50er-Jahre sind Energie und Telekommunikation:
Sektoren mit Wachstumschancen und gleichzeitig das Rückgrat der ethnischen Kriegswirtschaften der letzten Jahre. Die
ethnischen Säuberungen im Drinatal, der Wettlauf der kroatischen und bosniakischen Armeen 1995 nach Jajce, hatten unter
anderem mit dem wirtschaftlichen Wert der jeweiligen Wasserkraftwerke zu tun, auf denen jetzt nationale Fahnen wehen (die
Kraftwerke im Drinatal werden noch heute von Belgrad kontrolliert). Die Gewinne, die etwa mit Mobiltelefonen gemacht
wurden, haben die Finanzierung illegaler Strukturen, wie den Parteien unterstellte Geheimdienste, erst ermöglicht.
Eine bosnische Energie- und Telekommunikationsunion würde nicht nur bestehende Monopole aufbrechen, Konsumenten
nützen und Investoren einen stabilen Rahmen bieten, sie würde auch die ethnisch-territoriale Logik der letzten Jahre auf den
Kopf stellen. Zwei Grundprinzipien Jean Monnets, des Vordenkers der Montanunion, kämen dadurch zur Anwendung: Um
einen politischen Durchbruch zu erreichen, konzentriere alle Ressourcen auf einen engen Bereich! Und um scheinbar
unlösbare Konflikte zu entschärfen, verändere den Rahmen, in dem diese Konflikte gesehen werden! So wie die Montanunion
half, das Problem der internationalen Ruhrverwaltung oder des (1950 noch von Frankreich besetzten) Saarlandes zu lösen, so
kann Integration der Märkte und gemeinsame Verwaltung von Infrastruktur unter einem europäischen Dach die territoriale
Frage auf dem Balkan entkrampfen.
Die gegenwärtige Situation ist denkbar absurd. Während der Stabilitätspakt für den Balkan den Wert grenzübergreifender
Zusammenarbeit lobt, aber letztlich wenig in Institutionen, sondern vor allem in Straßen und Brücken in der Region investiert -
an beidem mangelte es in Bosnien weder vor dem Krieg noch heute - finanziert westliche Wiederaufbauhilfe in Bosnien den
Aufbau ethnisch getrennter Wirtschaftssysteme. So gibt es heute drei Stromversorger und drei Telefonbetriebe, auf das
Engste mit den jeweiligen nationalen Parteien verbunden.
Modell Zentralbank
Wettbewerb und freier Handel sind ausgeschlossen, Geldflüsse unübersichtlich. Die Preise für Konsumenten und Industrie
zählen zu den höchsten in Europa, die Leistungen sind miserabel, Investitionen in neue Technologien unter diesen
Umständen unmöglich. Selbst der bosnischen Zentralbank in Sarajewo, die sich über Leistungen der Telekom beschwerte,
wurden für einige Tage alle Leitungen abgedreht. Ein zurückkehrender Flüchtling einer anderen ethnischen Gruppe hat kaum
Chancen auf Strom- oder Telefonanschluss. Dies ist typisch für einen "gemeinsamen Markt", in dem es keine einzige, im
ganzen Land tätige Bank oder Versicherung gibt und in dem nur Wirtschaftskriminalität grenzüberschreitend agiert.
Um diese zu verändern - und damit auch das Daytoner Abkommen umzusetzen - bedarf es internationaler Macht. In den
letzten Jahren gab es Erfolge, auf denen man aufbauen kann. So ist die Zentralbank eine funktionierende gesamtstaatliche
Institution, in der Bosnier aller Volksgruppen arbeiten. Eine von der internationalen Gemeinschaft eingerichtete unabhängige
Medienkommission (IMC) vergibt Lizenzen und managt das Spektrum für Medien im ganzen Land. Sie könnte der Nukleus
einer starken staatlichen Regulierungsbehörde für Telekommunikation werden.
Starke, unabhängige Regulierungsbehörden für Telekommunikation oder Energie bringen auch den Tag erfolgreicher
Privatisierungen näher. Sie würden dringend nötige Auslandsinvestoren anlocken, diese aber auch zur Einhaltung von
Grundregeln verpflichten. In einer Anfangsphase würden Regulierungsbehörden von ausländischen Experten gemeinsam mit
Bosniern geleitet, um, ähnlich wie in der Zentralbank, Vertrauen in ihre Unabhängigkeit zu schaffen.
Gleichzeitig sollte sich die internationale Gemeinschaft aus anderen Bereichen, in denen sie derzeit per Dekret regiert,
zurücknehmen. Das Ziel dieser neuen Strategie wäre das Schaffen der "konkreten gemeinsamen Interessen" und
funktionierender Institutionen in Schlüsselbereichen, die seit 1950 die Grundlage der europäischen Friedensordnung bilden
und die auf dem Balkan in den letzten Jahren so sträflich vernachlässigt wurden.
Gerald Knaus ist Direktor der European Stability Initiative (ESI), Berlin; ESI berät Regierungen und internationale
Organisationen zu Südosteuropa (www.esiwcb.org).