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Bei den Dreharbeiten zu diesem Film kamen keine (echten) Tiere zu Schaden - (digitalisierte) Wildnis mit Ungeheuern in "King Kong".

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Peter Jacksons würdiger Nachfolger für James Camerons "Titanic".


Wien – Aus dem Kiwi-Country Neuseeland ins Herz der amerikanischen Filmindustrie; nach Anfängen im geistreichen Splatter-Low-Budget- Underground (Braindead!) in eine Oberliga dreistelliger Millionenbudgets, in denen kaum noch eine Rolle zu spielen scheint, ob Spezialeffekte so viel Geld verschlingen wie andernorts ein "großer" Spielfilm: Dem Filmemacher und Träumeverwirklicher Peter Jackson ist es wie nur wenigen seiner Generation gelungen, seinen radikalen, hochreflektierten Visionen entgleisender Gesellschaftssysteme, ihrer Fantasien und einer damit einhergehende "Monstrosität" treu zu bleiben.

Selbst wenn Jackson in der Trilogie vom Herrn der Ringe dem Bilderkosmos von und rund um J.R.R. Tolkien "treu" blieb, ließ er doch nicht ab von seiner eigentlichen Obsession: Dort, wo alles "bekannt" ist (das Genre, seine Regeln, sogar die Handlung), das "Fremde", die bisher ungekannte Perspektive zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Immer haben Jacksons Figuren, egal ob sie nun im Computer generiert werden oder nur durch Licht, Ton und Bildbearbeitung neue Plastizität gewinnen, eine fast surreale, an alte Action-Comics gemahnende physische Präsenz. Und nicht selten vollführt die Kamera um sie herum, auf sie zu, von ihnen weg "unmögliche" Flugmanöver, als wolle sie mit ihrem Blick Dinge festhalten, die noch keiner gesehen hat, auch wenn sie immer und immer wieder berichtet oder erzählt worden sind.

King Kong, Jacksons jüngstes und vielleicht ambitioniertestes Projekt, zeigt den Filmemacher und Raum/Zeit-Modellierer am Zenit seiner Kunst. Ein abgedroscheneres und zugleich seit 9/11 symbolisch aufgeladeneres Sujet hätte er sich fürwahr nicht aussuchen können:

Einen Riesengorilla, der 1930 auf schrille Frauenschreie des frühen Tonfilms erregt reagierte wie sonst wohl nur die ebenfalls durchaus animalisch angefixten männlichen Kinobesucher. Eine ultimative Potenzfantasie samt zugehöriger Dschungelexotik und dürftig bekleidetem weiblichem Gegenüber. Ein Monster, das 1976 in einem mäßigen Remake sogar auf dem World Trade Center auf nahende Flugzeuge eindreschen durfte. Ein Wahnsinn eigentlich, aber wie jeder Wahn durchaus vielstimmig von jener Gesellschaft erzählend, der er entspringt und die er anspricht, äh, anbrüllt.

Elende neue Welt

Auf wortwörtlich ungeheuerliche Weise, im Hollywood der letzten Jahre nur mit Titanic vergleichbare Weise erzählt dieser neue King Kong davon, was das heißt: Immer zu wissen, "wie so eine Geschichte ausgeht", und gleichzeitig immer beklemmender zu ahnen, dass sich das alles eigentlich nicht ausgehen kann. Im Schatten der stetig wachsenden, imposanten Skyline von Manhattan geballte Armut; hinter den Glitzerfassaden von Varietés und Kinopalästen feiste Vergnügungssucht. Studiobosse bügeln ihre angestellten Regisseure nieder, diese wiederum gehen über Leichen, um zeigen zu können, was noch nicht da gewesen ist.

Wie James Camerons Titanic entwirft auch Peter Jacksons King Kong ein teilweise sehr pessimistisches Bild der Missverhältnisse zwischen Technik, Kapital, menschlichen Ressourcen, Hoffnungen und Gefühlen. Wer sich über das große gemeine Einerlei erheben will, braucht (wie übrigens auch die Erzähler dieser Filme) fast unmoralisch viel Budget; nur keine Rücksicht! Jack Black als besessener Filmemacher im Film hält seinen Drehbuchautor (Adrien Brody) wie ein Tier im Käfig. Und sollte die Nebel umwaberte Insel, auf die sein Schiff (die reinste Anti-Titanic) zusteuert, mörderische Gefahren bergen, so garantiert ihm dies zumindest geile Effekte.

Albtraum mit Darwin

Ist schon im New York der Depressionsjahre, das Jackson anfangs porträtiert, Hunger allgegenwärtig, so steigert sich dieser Hunger im Dschungel zu einer brachialen Gier, einem "survival of the fittest", das zeitweise wie eine Hard^core-Parodie auf Darwins Evolutionstheorie daherkommt. Hier zähnefletschende Kannibalen, die von nicht weniger aggressiven Weißen einfach über den Haufen geschossen werden. Dort riesige Saurier, die als "die Letzten ihrer Art" nicht selten Opfer ihrer kleinen Gehirne werden. Vergessen Sie das staunende Pathos von Jurassic Park: Hier rasen, stolpern, stürzen ganze Dino- Herden in nicht enden wollende Abgründe, insgeheim begleitet von irrem Gelächter.

Und wo bleibt die Liebe? Die sprichwörtliche Romanze zwischen der Schönen und dem Biest? Peter Jackson ist klug genug, nicht in die Falle historischer Erwartungen zu gehen. Sein Affe verliebt sich nicht in die blonde Schauspielerin, die ihn plötzlich Steine jonglierend zum Staunen bringt: Er betrachtet sie eher als kostbares Spielzeug, das er mit niemandem teilen will.

Und Naomi Watts als durch die Wildnis geschleuderte, verschleppte verkannte Komikerin: Sie scheint in ihrer Zuneigung eher von Schuldgefühlen bedrängt – von der Erkenntnis, dass schon der erste Schritt ins Unbekannte ein zerstörerischer Akt und gleichzeitig irreversibel war.

Nicht die Kampfflieger hätten King Kong getötet, so am Ende der Regisseur im Film, sondern "die Schönheit". Es ist die Binsenweisheit eines Effektkünstlers, die Jackson da gelassen in den Raum stellt. Und als solche wird sie auch ausgestellt. Melancholisch schwebt dahinter ein großes Fragezeichen: Sind es nicht beständig solche hübsche Weisheiten, mit denen wir von Hollywood abgespeist werden? Und wo bleibt dagegen die ganze Absurdität von Stürzen ins Bodenlose?

King Kong ist übervoll mit solchen Wahnsinnsstürzen. "Das ist also keine Abenteuergeschichte?", fragt irgendwann dazwischen jemand bei einer Lektüre von Joseph Conrads Reise ins Herz der Finsternis. Erhellender sah man selten in den letzten Jahren exerziert, was das für Zivilisationen, für uns heißt: Wir amüsieren uns zu Tode. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2005)