Warschau/Wien – Nicht einmal drei Monate nach den Parlamentswahlen vom 25. September bereitet Polens nationalkonservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) das Land auf einen neuen Urnengang vor. Der Wochenzeitung Warsaw Voice hat Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz jetzt solche Überlegungen bestätigt. Zwar sei seine Partei auf die
volle vierjährige Regierungsperiode eingestellt, aber: "Was die jüngsten Äußerungen über
vorgezogene Wahlen angeht, so ziehen wir auch das in Erwägung."
Marcinkiewicz leitet eine
Minderheitsregierung, die im
Parlament von der Partei "Samoobrona" (Selbstverteidigung) des Extrempopulisten
Andrzej Lepper und von der
nationalklerikalen "Liga der
Polnischen Familien" (LPR)
gestützt wird. Eine ursprünglich geplante Koalition mit der
rechtsliberalen "Bürgerplattform" (PO) scheiterte an unüberwindbaren Gegensätzen
in der Wirtschaftspolitik.
Umbau des Staates
Inzwischen weisen Umfragen wachsenden Wählerzuspruch für PiS aus, die demnach sogar mit einer absoluten
Parlamentsmehrheit rechnen
könnte. Mit ihren Plänen für
einen umfassenden Umbau
des Staates (Justiz- und Verwaltungsreform, Korruptionsbekämpfung) spricht die von
Jaroslaw Kaczynski geführte
Partei offenbar auch stark die
Klientel von Lepper und der
Familien-Liga an. Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder
von Jaroslaw, wird am 23. Dezember als neuer Staatspräsident angelobt. Im Wahlkampf
forderte er die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die "Liga" hat inzwischen
angekündigt, der Regierung
die Unterstützung zu entziehen, offiziell wegen des geplanten Verkaufs eines Kraftwerks an die spanische Gesellschaft Endesa. Wahrer Grund
dürfte jedoch die drohende
Abwanderung der Wähler zur
PiS sein. Diese wiederum liebäugelt gerade deshalb immer
heftiger mit Neuwahlen: Damit könnte sie die Stimmung
zu ihren Gunsten ausnützen,
bevor sie bei der Umsetzung
ihrer kostspieligen sozialen
Versprechen den wirtschaftspolitischen Offenbarungseid
ablegen muss. (DER STANDARD, Printausgabe 14.12.2005)