Zum ersten Mal wird Angela Merkel an einem EU-Gipfel teilnehmen - und die Erwartungen an die neue deutsche Bundeskanzlerin sind groß. "Europa ist immer dann vorangekommen, wenn Deutschland eine vermittelnde Rolle eingenommen hat", ließ EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schon vor einigen Tagen wissen und erhöhte damit den Druck auf Merkel, zum Gelingen dieses Treffens beizutragen.

Doch die Newcomerin auf dem EU-Parkett hat ihre eigenen Vorstellungen. Einen Tag nach ihrer Vereidigung ist Merkel schon nach Paris, Brüssel und London geflogen, um die Chancen auf einen Erfolg auszuloten. Recht zuversichtlich ist sie nicht, und daraus macht sie auch kein Hehl. Am Dienstagabend war der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende bei ihr in Berlin zu Gast.

Auf den EU-Gipfel angesprochen, erklärte Merkel nach dem Gespräch mit ihm: "Wir wollen ein Ergebnis, aber wir können natürlich kein Ergebnis um jeden Preis eingehen." Die beiden Nettozahler Deutschland und Niederlande wollen "möglichst die Argumente gemeinsam vortragen", sagte Balkenende.

Auf rot-grüner Linie

Merkel will zwar außenpolitisch andere Akzente setzen als ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Doch beim EU-Haushalt ist sie ganz auf Linie der abgewählten rot-grünen Regierung: "Der EU-Beitrag soll möglichst nahe bei einem Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens liegen." Deutschland ist auch nicht bereit, Extrazahlungen zu leisten. Nicht vorstellbar ist für Merkel auch die Kürzung der Agrarsubventionen: "Die Landwirte müssen sich auf die ihnen einmal zugesagten Gelder verlassen können."

Im Gegensatz zum Franzosen Jacques Chirac bleibt Merkel beim heiklen Thema "Britenrabatt" vage: "Die Frage des britischen Rabatts ist ein Baustein in einem ganzen Kompendium, aber eine Lösung werden wir nur finden, wenn alle anstehenden Fragen in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.12.2005)