Brüssel/Hongkong - Die Stimmung bei den politischen Entscheidungsträgern in der gesamten EU ist am Donnerstag, nur wenige Stunden vor dem Beginn des entscheidenden Gipfels zu den EU-Finanzen 2007-2013, von massiver Skepsis und Ablehnung gegenüber dem jüngsten britischen Vorschlag geprägt. Wie Finanzminister Karl-Heinz Grasser haben seit Bekanntwerden der Zahlen auch die meisten anderen EU-Spitzenpolitiker den britischen Entwurf meist rundweg abgelehnt - Polen droht sogar mit einem Veto und fand Unterstützung bei Frankreich.

Die ärmeren Mitgliedstaaten dürften nicht die "Opfer der Verhandlungen" sein, schrieben der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy und sein polnischer Amtskollege Stefan Meller in einem Brief an die "Financial Times (FT)". Der derzeitige britische Vorschlag sei "keine Basis für eine Einigung". Der neue Vorschlag verlange "von den armen Mitgliedstaaten weitere, substanzielle Opfer, während ein Mitgliedstaat, Großbritannien, seine Position deutlich verbessert sehen würde", schreiben die beiden Außenminister. Dieser Zugang könnte nicht der der Maßstab für eine EU sein, die auf Solidarität und Fairness basiert.

Unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels wollen sich Agenturmeldungen zufolge der britische Premierminister Tony Blair und der französische Staatspräsident Jacques Chirac zu einem Krisengespräch treffen. Vor allem wegen des Britenrabatts gibt es Streit zwischen Paris und London. Eine Einigung zwischen London und Paris gilt als Voraussetzung für eine Einigung auf dem Gipfel.

EU-Haushalt 849 Milliarden Euro

Nach dem aktuellen Vorschlag soll der EU-Haushalt von 2007 bis 2013 insgesamt 849,3 Milliarden Euro oder 1,03 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Der Luxemburger Vorschlag vom Juni 2005 sah noch Ausgaben von 871 Milliarden Euro (1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung) vor. Sparen will die Regierung in London vor allem bei den Strukturfonds für die neuen EU-Staaten, die um rund zwölf Milliarden auf dann 151 Milliarden gekürzt werden sollen. Am Rabatt, der Großbritannien auf seinen Beitrag zum EU-Haushalt seit 1984 gewährt wird, will Blair im Grundsatz festhalten. London zeigt sich aber bereit, in der nächsten Finanzperiode insgesamt acht Milliarden Euro mehr zu bezahlen.

Der britische Vorschlag ist laut Finanzminister Karl-Heinz Grasser aus österreichischer Sicht "nicht akzeptabel". Der Vorschlag sei "bisher nicht ausgewogen", besonders in Bezug den auf die Erweiterung. Durch den britischen Rabatt gebe es keine faire Finanzierung der Kosten der Erweiterung, sagte Grasser am Rande einer Veranstaltung in Brüssel. Bisher habe Großbritannien angeboten, 8 Mrd. Euro mehr zu zahlen, ein fairer Beitrag wäre allerdings "20 Milliarden Euro". Dennoch hoffe er weiter, das die Staats und Regierungschefs einen Kompromiss finden. Die Chancen stehen laut Grasser 50 zu 50.

Signal in die richtige Richtung

Landwirtschaftsminister Josef Pröll sieht den neuen Vorschlag für den Bereich Ländliche Entwicklung nach wie vor "sehr, sehr kritisch", wenngleich er "ein Signal in die richtige Richtung" sei, sagte Pröll, der sich derzeit bei der WTO-Konferenz in Hongkong aufhält. Nachdem der Aufteilungsschlüssel noch offen ist, sei auch der neue Vorschlag sehr kritisch zu beurteilen, betonte Pröll. Erste Berechnungen würden zeigen, dass selbst unter Annahme eines Verteilungsschlüssels auf Basis historischer Daten das "Zuckerl" für Österreich in Höhe von 450 Mio. Euro nicht ausreiche, "um die Lücke zu schließen", sagte Pröll.

Deutschland, eine der größten Volkswirtschaften in der EU, sprach sich laut Medienberichten gegen eine übermäßige Belastung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich stark und drohte indirekt damit, den Gipfel platzen zu lassen, sollten die deutschen Forderungen nicht berücksichtigt werden. "Wir wollen keine Einigung um jeden Preis", sagte Merkel am Donnerstag in Brüssel. Sie fügte aber hinzu: "Es liegt im deutschen Interesse, dass es zu einer Einigung kommt."

Merkels österreichischer Amtskollege Wolfgang Schüssel bekräftigte beim Treffen der christdemokratischen Regierungschefs am Donnerstag zu Mittag in Brüssel, dass die reicheren Länder - also auch Österreich - in Zukunft mehr in den EU-Topf einzahlen müssten. Zugleich wies Schüssel Merkel eine Vermittlerrolle zu. "Es wird sehr auf die Bundesrepublik Deutschland ankommen", sagte der Kanzler. In Merkel habe er aber "großes Vertrauen, dass sie den richtigen Ton treffen wird". (APA)