Ist es nun ein Rückzugsgefecht, ein Anheizen der (Neuwahl)Debatte oder ein Eingeständnis europapolitischer Schwäche, wenn der Bundeskanzler verkündet, Österreich werde in den nächsten Jahren mehr in die EU-Kassen zahlen müssen? So unterschiedlich die medialen Interpretationen seiner Ankündigung sein mögen, die Sache selber berühren sie nicht. Denn dass Österreichs Beiträge an die EU wachsen werden, steht im Kern, wenn auch nicht im Ausmaß, außer Zweifel. Auf wirklich unerwarteten, über Wortspenden hinausgehenden Widerstand ist Wolfgang Schüssel daher auch nicht gestoßen. Die Grünen geben sich EU-freundlich, die Freiheitlichen sind erwartungsgemäß empört, die Meinung des Koalitionspartners ist wurscht und die SPÖ meint dasselbe wie Schüssel.

Da kommt es nur auf die Reihenfolge an. Sagt man wie SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos: Wenn es nicht gelingt, in der Frage des Briten-Rabatts einen Kompromiss zu finden, sei die SPÖ dagegen, noch mehr zu zahlen. Oder, wie Schüssel: Wir werden mehr zahlen, vorausgesetzt, der Britenrabatt werde gekürzt und Großbritannien beteilige sich proportional an den Erweiterungskosten. Die zweite Version klingt irgendwie entschiedener, fast so, als hätte es einer dem perfiden Albion wieder kräftig hineingesagt – da hat er aus einer unpopulären Situation wenigstens einen kleinen Kanzlerbonus demonstrativer Entschlossenheit herausgeschunden. Und um die regelmäßige Fütterung solcher Schimären wird es im Wahljahr, vor allem in dessen erster Hälfte, hauptsächlich gehen.

Als letzte Chance, gewissermaßen. Schon die wenig mitreißende Inszenierung des Gedankenjahres konnte nicht verhindern, dass einige Wahlergebnisse, zuletzt und zum Drüberstreuen noch die Wahl zum ORF-Publikumsrat, die Etablierung der ÖVP als Vaterlandspartei gegen die rot-grüne Gefahr empfindlich störten. Aber auch die Hoffnung, an der EU-Präsidentschaft innenpolitisch zu genesen, erscheint zur Zeit nicht rosig. Die Stimmung in der Bevölkerung in Sachen EU ist so negativ, dass die Taktik, die SPÖ durch Einforderung von Schulterschluss taktisch zu entmündigen und im Falle von Verweigerung als Vaterlandsverräter an den Pranger zu stellen, eher den gegenteiligen als den gewünschten Effekt erzeugen dürfte.

Die Rechnung, der Bundeskanzler werde sich vor den Nationalratswahlen ein halbes Jahr lang als europäischer Staatsmann profilieren und derweil das eigene Land von seinen Statthaltern Wilhelm Molterer und Andreas Khol verwalten lassen, kann sowohl aus innenpolitischen wie auch aus EU-bedingten Gründen nicht aufgehen. Schon jetzt, noch ehe die EU-Präsidentschaft angetreten ist, wirkt Schüssels Agieren auf viele Beobachter wie eine Flucht vor den brennenden Problemen des Landes, während dieses zur Spielwiese der bizarren Zündler vom BZÖ verkommt.

Warum diese offiziell noch immer als zukunftstauglich gehätschelten Koalitionspartner dem Bundeskanzler das politische Überleben durch Abspaltung von den Freiheitlichen schwerer gemacht haben, als es bisher die Opposition vermochte, bleibt ohnehin in einem von keinem Blaulicht zu erhellenden Dunkel, wenn sie sich – wie originell! – wieder einmal auf die gute alte Ausländerfrage werfen und die ÖVP dafür auf einen "Reformdialog" festlegen wollen. Um diesen Wahlkampfknüller müssen sie sich diesmal mit den Freiheitlichen balgen, was den Wert ihrer Beihilfe zum Fortbestand einer Kanzlerschaft Schüssels noch stärker reduziert als all ihr rührendes Bemühen, regierungsfähig zu wirken.

Mit dem EU-Vorsitz bricht auch der letzte Akt dieser Koalition an. Und es ist inzwischen ziemlich gleichgültig, ob gewählt wird, während sie läuft, oder danach. Die angebliche Tradition, Regierungen im Gefolge der EU-Präsidentschaft abzuwählen, ist jedenfalls nicht das, was Schüssel am meisten fürchten müsste. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2004)