Der weltweite Aufschrei über die immer härteren antiisraelischen Ausfälle des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nejad ist mehr als berechtigt - ja angesichts der Ungeheuerlichkeit seiner Worte immer noch zu schwach. Aber auf paradoxe Weise ist Ahmadi-Nejad ein Glücksfall für all jene Staaten, die den nuklearen Ambitionen des iranischen Regimes und dessen Aufstieg zur Regionalmacht Einhalt gebieten wollen. Je gefährlicher der Präsident klingt, desto geringer wird die Gefahr, die vom Iran ausgeht.

Kaum jemand zweifelt heute noch, dass die islamische Republik nach Atomwaffen strebt. Ihr Motiv ist weniger die Vernichtung des Staates Israel als nationale Großmannsucht sowie die Sehnsucht nach Schutz vor echten und imaginären Gegnern.

Teheran hat dabei lange Zeit eine geschickte Doppelstrategie verfolgt, in der es mithilfe von Verhandlungen auf Zeit spielte, um währenddessen sein nukleares Programm voranzutreiben. Dabei war es nützlich, dass sich die Staatengemeinschaft uneins präsentierte. Doch schon seit Monaten ziehen die USA und die EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - an einem Strang, und seit der Sitzung der Atomenergiebehörde (IAEO) im September haben sich auch Russland und Indien in die gemeinsame Front eingereiht. Angesichts der vielen ungeklärten Fragen über ihr Atomprogramm droht der iranischen Führung genau jene Isolation, die sie seit Jahren zu vermeiden sucht.

In diese prekäre Situation platzt der frisch gewählte Präsident mit einer Serie von Sprüchen, die das Regime von seiner allerhässlichsten Seite zeigt: Er wünscht sich die Vernichtung eines anderen Staates, leugnet den Holocaust und präsentiert als Lösung für den Nahostkonflikt Umsiedlungspläne, die an die frühe Rhetorik der Nazis (bevor sie die Gaskammern bauten) erinnern. Und all das verbindet er mit einer kruden antikapitalistischen Propaganda, die seit dem Ende der Sowjetunion nur noch selten zu hören ist.

Ob Ahmadi-Nejad damit eine bewusste Strategie verfolgt oder sich bloß von seinen Zuhörern mitreißen lässt, tut dabei wenig zur Sache. Denn der Volkstribun hat sich in den wenigen Monaten seiner Amtszeit so sehr ins innenpolitische Abseits getrieben, dass er heute kaum noch für den Iran spricht. Er mag zwar der gewählte Präsident sein, doch ernst genommen wird er nur noch im Ausland.

Dort sorgt die wachsende Empörung allerdings dafür, dass der diplomatische Spielraum für den Iran immer kleiner wird. Wenn George W. Bush seine "Achse des Bösen" wieder ausgräbt, ohne dass dies in Europa auf Kritik stößt, dann muss Teheran wissen, dass der Vertrauensvorschuss für die nächste Runde der Atomverhandlungen gen null schrumpft. Israel, das stets vor Nachgiebigkeit in den Verhandlungen warnt, hat weniger Anlass zur Sorge als zu stiller Genugtuung.

Wahrscheinlich bereut es der oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei, dass er sich in den konfusen Tagen vor der Präsidentenwahl im Juni für Ahmadi-Nejad entschieden und ihm so zum überraschenden Wahlsieg verholfen hat.

Aber nicht, was der Präsident sagt, sondern wie er es sagt, ist für den Iran das Problem. Denn die Meinung, dass die Gründung des Staates Israel 1948 eine Verschwörung des Westens zur Demütigung und Schwächung der islamischen Welt war und der Holocaust hier bloß als Vorwand diente, ist nicht nur im Iran weit verbreitet. Auch die Mehrheit der Araber will Israels Existenz höchstens aus Gründen der Realpolitik akzeptieren, und die arabischen Medien sind voll von Tiraden im Stil von Ahmadi-Nejad.

Völlig übersehen wird dabei, dass - auch als Folge der Judenvertreibungen nach der Staatsgründung - mehr als die Hälfte der Israelis ihre Wurzeln in islamischen Ländern haben. Israel ist politisch, kulturell und moralisch ein legitimer Teil dieser Region und gehört nirgendwo anders hin.

Aber erst wenn Hetzreden à la Ahmadi-Nejad auch in der arabischen Welt lautstarke Proteste auslösen würden, könnte Israel aufatmen. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.12.2005)