Eine Idealistin, die sich zunehmend in Widersprüche verstrickt: Grace (Bryce Dallas Howard) und ihr Gangstervater (Willem Dafoe) in Lars von Triers "Manderlay".

Foto: Polyfilm
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Sklaven ein Leben in Freiheit vermitteln lässt.


Wien - Die Regeln stehen ausnahmsweise fest. Hat der dänische Regisseur Lars von Trier sich bisher noch in fast jedem seiner Filme auf ein Experiment eingelassen, stellt Manderlay zumindest ästhetisch keine Neuerung dar. Auch der zweite Teil seiner als Trilogie geplanten Beschäftigung mit den USA spielt im leeren Raum: ein theatrales Labor, ganz in schwarz gehalten, in dem nur wenige Objekte auf einen konkreten Ort verweisen. Cartoonhaft nennt von Trier diese Form der Darstellung, da ein paar Striche am Boden schon das Wesentliche anzeigen.

Amerika ist für von Trier kein reales Land, sondern der Anlass für ein Planspiel, in dem Ideen aufeinander prallen. In Dogville bekommt Grace, noch von Nicole Kidman verkörpert, die Dynamik eines hinterwäldlerischen Mobs zu spüren. Sie sucht während der Depressionszeit in einem Bergkaff Unterschlupf, findet aber keinen Halt. Toleranz muss sie sich verdienen, sie ist der Lohn ihrer Arbeit. Der Humanismus ist in Dogville ganz klar an kapitalistische Regeln gebunden. Die Welt sei ohne diesen Ort eine bessere, meint sie am Ende, sie wird zum Racheengel und schießt alle kaltblütig nieder.

Opfer wird Aktivistin

Die Grace des ersten Teils stand noch in jener Folge weiblicher Opferfiguren, die im Werk von Lars von Trier einen bevorzugten Platz einnehmen. Manderlay entfernt sich von diesem melodramatischen Prinzip. Grace, die nunmehr von Bryce Dallas Howard gespielt wird, wandelt sich zur aktiven Protagonistin mit Auftrag. Man sieht einer lehrstückhaften Abfolge von Szenen zu, die durch den onkelhaften Off-Erzähler (John Hurt) zusätzlich auf Distanz gehalten werden. Damit wird auch der Film epischer im Sinne Brechts, und die Einbeziehung des Zuschauers ein wenig geschwächt.

Nach Dogville, Colorado, führt der Weg in den Süden, nach Manderlay, Alabama. Grace stößt auf eine Farm, auf der immer noch Sklaven leben. Der Tod der Besitzerin Mam (Lauren Bacall) ermöglicht ihr ein Experiment, das von ihrem Idealismus angetrieben wird: Sie möchte die Sklaven das Leben in Freiheit lehren. Ein Unterfangen, das schnell auf Widerstände stößt, muss doch die Systematik des Unterworfenseins durch neue Regeln ersetzt werden. "Wann essen die, die in Freiheit leben, ihr Abendbrot", fragt der ältere Wilhelm (Danny Glover) gleich einmal.

Es ist das Entstehen einer demokratischen Ordnung, das von Trier hier dialektisch verhandelt. Wie schon in Dogville stehen Ideale auch in Manderlay von Beginn an unter dem Verdacht, sehr zweckgerichtet zu sein. Graces Ansinnen ist allein schon durch ihre Autorität gefährdet. Die Freiheit ist ab dem Moment bereits wieder beschnitten, wo sie sich an den Maßstäben einer bereits vorhandenen Ordnung misst. Damit sich die befreiten Sklaven ernähren können, muss etwa gewirtschaftet werden. Mit dem ersten Geld, das sie selbst verdienen, sind aber auch schon jene zur Stelle, die es ihnen mit Tricks wieder aus der Tasche ziehen wollen.

Für Manderlay hat sich von Trier an Pauline Réages erotischem Roman Geschichte der O. orientiert. Jean Paulhans Vorwort dazu lautet Das Glück in der Sklaverei - es erzählt von karibischen Sklaven, die es vorzogen, in die Unfreiheit zurückzukehren. Lars von Trier geht nicht soweit, diese masochistische Lesart auf die USA zu übertragen, aber er deutet an, dass die Neuerfindung von Regeln in Gefahr läuft, die alten indirekt zu übernehmen. So zeigt er Gewaltmechanismen auf, die in jedem Gesellschaftsmodell vorhanden sind, mal besser sichtbar, mal weniger. Dazu gehören auch rassistische Fantasmen über schwarze Sexualität, an denen er Grace in Träumen leiden lässt.

Gegen den Konsens

Gerne wird von Trier als Amerikakritiker missverstanden. Dabei ist die Logik dieses Spiels der Unterdrückung, der der Film wie auf einem noch nicht gemusterten Schachbrett nachspürt, keinesfalls auf amerikanische Verhältnisse beschränkt. Der Däne macht seit jeher ein Konzeptkino, das sich einem bestimmten liberalen Konsens zu widersetzen versucht. Für jedes Stereotyp ist ein anderes vorhanden, das es wieder entkräftet, zumindest in Frage stellt. Manderlay fragt nach den Umständen des Scheiterns, und zeigt auf, dass ein guter Wille zu wenig ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2005)