Englands Königin im rußschwarzen Machtgehege: Königin Elisabeth (Julia Kreusch) mit Höflingen (Otto David, li., und Stefan Maaß).

Foto: Schauspielhaus Graz/Manninger
Graz - Weil mit dem Aufgehen des Vorhangs zu Friedrich Schillers Maria Stuart das Leben der schottischen Titelheldin bereits verwirkt ist, Maria sich aber getreu der Tugendmaximen sittlich zu vervollkommnen hat, weshalb sie, die geschasste, schöne Königin, die ungleich weniger reizlose Kollegin auf dem Thron wüst ausschilt, ehe sie aufs Schafott muss - darf man sich von diesem Trauerspiel ruhig blenden lassen. Man kann die Maria Stuart als in ihrer Art makelloses Gebilde bestaunen. Nur so recht von Herzen lieben - wie die vom Aberwitz wüst angekränkelte Scharteke des Fiesco - wird man das Trauerspiel schwer können.

Das Jahr des Weimarer Jubilars Schiller zog doch in stark gedämpftem Funkenlicht vorüber. Honorige Institute wie das Grazer Schauspielhaus liefern noch knapp rechtzeitig vor Jahresschluss das pflichtbebilderte Reclam-Heft an die klassikgeeichte Stammkundschaft aus.

Da habt ihr eure "überpersönliche Tragik", tönt es von der grau gestreiften Bleikammer der Grazer Bühne herunter. Nadelstreifanzüge, deutet Ausstatterin Susanne Maier-Staufen an, sind die industriegewebten Textilgefängnisse derjenigen, die sich in einem England der Aufsichtsratskerker als Ränkeschmiede und Kabinettspfuscher bewähren müssen.
Der rote Zopf der Elisabeth (Julia Kreusch) hängt denn auch wie eine kupferrote Kapitalanlage über ihren Boutiquenkostümen. Diese Managerin setzt ihre Backfischattitüden, ihre allenfalls erotisch deutbaren Aufatmungsübungen als Dressurlockmittel ein.

Sie setzt Gunstbeweise wie Jetons auf die Spielpositionen der verschiedenen Ohrenbläser und Berufshofschranzen. Kreusch wäre in einer anderen Inszenierung als der hausväterlich mürben des berühmten Jürgen Bosse sogar ein Ereignis: eine Wölfin im Managerinnenpelz, die sich als bogenschießende Diana verkleidet und vielleicht ihre schuldige Lust an der Abrichtung der Hunde fände, die den Aktäon zerreißen: eine Königin aus grauer Jetztzeit.


Deklamation pur

Aber selbst ihre mühsam gebändigte, zungenmahlende, gesichtsentgleisende Hysterie sticht seltsam vom spitzen, herben, harten Deklamationseinsatz einer Maria Stuart (Martina Stilp) ab, die noch im himmelblauen Kittelschürzenkleid wie im brokatenen Keuschheitsmantel einherstelzt.

Schwer einzusehen, wen oder was diese Person faszinieren soll: den katholischen Renegaten Mortimer (Martin Bretschneider), dessen tugendterroristischer Eifer windelweich und wahnhaft ist? Den sich verbiegenden Frauenbeglücker Leicester (Daniel Doujenis), der den soliden Charme eines Espresso-Casanovas versprüht? Für das berühmte Zusammentreffen der beiden Königinnen im dritten Akt hat Bosse die Bühne leer geräumt. Aus dem Keller heraufgespült, prallt die jauchzende Maria beinahe an den Horizont. Im Hassduell mit Elisabeth wird sie wie ein Range herumbrüllen, während der Sommergewitterdonner grollt und der Hofstaat sich auf Gartensesseln an dem genierlichen Schauspiel weidet. Mit einem Mal ist die Stuart - eine fatale Agentin ihrer Interessen. Für das fragile englische Staatsgebilde: ein Bombe aus Leidenschaft. Das alles hätte Bosse noch erzählen können, wäre ihm beim Reclam-Bildermachen Zeit geblieben. (DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2005)