Star

Neulich haben wir dann sogar die - vermutlich - allerhöchste Stufe des Spieles erreicht: Wir brauchten die schwarze Kiste gar nicht mehr. Es genügte, dass W. die CD aus dem Auto holte - und als wir sie in den Händen hielten, um zu sehen, was da eigentlich alles drauf war, begannen wir (abwechselnd, so wie beim eigentlichen Spiel ja auch) zu singen: ",Fire & Ice'? Ich kann mich nicht erinnern" - "Na gut, hör zu. Das klang so: La la lalalla . . ." - "Um Gottes Willen! Aufhören! Das habe ich nicht nicht gekannt, sondern verdrängt - zum Selbstschutz." - "Aber da ist auch ,The Final Countdown' drauf. Mit Video!" - "Hilfe! Fang ja nicht an, das zu singen. Ich verlasse dich, wenn du das jetzt singst!" . . . Und so weiter.

Foto: Sony

Nana nanana

Es war dann lang nach Mitternacht, als wir aufhörten, uns gegenseitig mit dem Nachsingen von Opus-Refrains ("Nana nanana") und anderen Irrtümern der Musikgeschichte zu beflegeln: Es war wundervoll, schrecklich, verheerend und lustig - aber weder PlayStation noch Fernsehapparat hätten wir dafür einschalten müssen. Und im Grunde hätten wir nicht einmal die 80er-Superhits-DVD gebraucht, mit der Sony ansonsten grundvernünftige Menschen dazu verleiten will (und es auch schafft), sich in seiner "Sing Star" genannten Version von Karaoke für die PlayStation vollkommen lächerlich zu machen.

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Ohne Vorwarnung

Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen: Irgendwann waren wir einmal gemeinsam in einem Haushalt zu Gast gewesen, in dem der Herr des Hauses sein Berufsjugendlichendasein unter anderem dadurch manifestiert, eine schwarze Spielkonsole im Wohnzimmer stehen zu haben. Sie sieht aus, als hätte er sich in einem Fanshop von Kubricks "Odyssee im Weltall" einen Nano-Nachbau des rätselhaften schwarzen Steins gekauft: eine PlayStation. Aber Kraft der Erfahrung (man hat ja schließlich minderjährige Verwandte), dass wir bei Baller-, Autorenn-oder Flugsimulatorspielen motorisch gegen Fünfjährige chancenlos wären, straften wir das Ding mit Ignoranz. Und Verachtung.

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Buzz

Das funktionierte so lang, bis der Gastgeber sagte, er habe da etwas Neues. Etwas anderes. Etwas, das auch uns nicht überfordern würde. Dann steckte er die "Buzzer" an. Und als ich eine Woche später meine Freundin B. besuchte, dachte ich, als ich vor ihrer Wohnungstür stand, sie habe sich eine CD mit Walgesängen gekauft, läutete an, gratulierte noch auf der Schwelle zur neuen Esoterik-Musik, die ich bis auf den Gang gehört hatte - und bekam die Tür ins Gesicht geschlagen: Die Erklärung, dass ich nicht Pott- und Minkwale gehört hätte, sondern B., die daheim am Sofa "Killing me softly" (Fugees) gesungen habe, lieferte mir ihr Freund Tage später nach. (Dass er dabei Lachtränen in den Augen hatte, darf B. nie - niemals! - erfahren.)

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Drohend

Egal: Seit jenem denkwürdigen Abend gehören "Buzz" und "Sing Star" zum gelebten Drohpotenzial jeder Party und jedes Abendessens im Freundeskreis. Und jedes Mal sind wir aufs Neue überrascht, dass das wirklich funktioniert: "Buzz" ist nämlich im Grunde genommen ein absolut simpel aufgebautes Musikquiz. Schließlich geht es da nur ums Melodienzuordnen. Und darum, Fragen zur und aus der Geschichte der Popmusik entweder nach dem Prinzip "Wer drückt am schnellsten?" oder nach Multiplechoicekriterien zu beantworten.

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Coolnessfragen

Dazu bräuchte man - theoretisch - weder eine hochkomplexe Spielkonsole noch einen Fernsehapparat. Aber mit dem Elektrozeugs lässt sich der Spaß halt besser verkaufen als mit einem Karton-, Karten-und eventuell sogar noch Würfelset: Der klassische Brettspiele-Abend unter Freunden klingt definitiv zu uncool - auch wenn das, wie es dann in Wirklichkeit aussieht, eine ganz andere Geschichte ist.

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Abgerichtet

Aber vor dem Fernseher auf einen roten Knopf (bei Speedfragen) oder einen von vier Knöpfen (bei Auswahlfragen) zu hauen, macht erstaunlicherweise echt Spaß - noch dazu, wenn da am Bildschirm ein animiertes Spice Girl, Run DMC, Axl Rose ("Jö, Kurt Cobain" - "Das ist Axl Rose, du Ei! Ich gehe jetzt! Jemand, der die beiden verwechselt, verdient meine Gegenwart nicht!") oder Liam Gallagher (um nur ein paar der möglichen Avatare aufzuzählen) für unsereinen raten.

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Essentielles

Und die Frage, wie Barry White tatsächlich geheißen hat, welches Instrument Marc Almond ("Hä, wer isn das?" - "Bauerntölpel! Sogar Halbgebildete dürften zumindest "Tainted Love" kennen!") als Volksschüler spielte oder welche Farbe der Wagen hatte, mit dem Ringo Starrs Mutter einst beim Falschparken erwischt wurde, falsch beantworten. Obwohl das alles doch wirklich jedes Kind weiß. Und so, als würde das etwas beweisen, beginnt immer jemand zu singen.

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Informativ

Abgesehen davon, dass man Freunde besser kennen lernt (der Streber, der Großraumdiscomusik-Auskenner, die geheime Chanson-Expertin, der schlechte Verlierer etc.), und ungeachtet der Frage, ob man das wirklich will, eröffnet das Gesumme bei "Buzz" den Weg in die nächste Kategorie des gruppendynamischen Freizeithorrors (nein, nicht zum Millionenquiz für zu Hause - derartiges, wiewohl ideal für die Buzz-Hardware, kommt erst im Frühjahr auf den Markt): zu "Sing Star".

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Abgehangen

Denn bei "Buzz" geht es um die Songs, mit denen die Generation der twenty- und thirtysomethings groß geworden sind. Und bei "Sing Star" (europaweit über 2,6 Millionen Male verkauft, in Österreich über 80.000-mal) kriegt dann jeder ein Mikro in die Hand.

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Original

Im Gegensatz zum Kneipenkaraokesystem wird der Sänger da aber nicht mit Bontempi-Versionen abgespeist, sondern hört (und sieht) das Original. Allerdings mit leiseren, mitunter sogar weggemischten Singstimmen. Und damit der des Notenlesens Unkundige nicht ganz so arm ist, zeigt das Spiel über dem eingeblendeten Liedtext Tonhöhe und -dauer an: Höher liegender Balken heißt "höherer Ton", tiefer liegender "bitte tiefer". Diese opto-akustischen Zieleinweisungen tragen nachhaltig zum Walgesangcharakter mancher Songs bei.

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Quoten

In jedem Fall gibt das Spiel nach dem Akt Rechenschaft über Übereinstimmungs- und Danebenliegequote. Darüber hinaus führen die Settings "Wettkampf" oder "Duett" (im Spiel) und "Gruppendynamik" und "also das schaffe sogar ich" (im Menschen) dazu, dass nach anfänglichem Zögern, Zaudern und Zicken bald ein G'riss um die Mikrofone herrscht.

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Auswahl

Allerdings haben wir bei der auf Bumbumdisco abzielenden Sing-Star-CD "The Dome" voll ausgelassen - aber neulich kam W. mit der 80er-Jahre-Sammlung daher. Sicher: Modern Talking ("Cheri Cheri Lady") sind eine Zumutung - aber darum geht es nicht. Weil Ohr wie Konsole keine Ähnlichkeiten zum Original erkennen. Auch wegen der Bewältigung des Traumas, zwischen Münchner Freiheit, Cindy Lauper und Europe aufgewachsen zu sein: Wer "The Final Countdown" selbst gesungen hat, kann plötzlich über einiges lachen. Vor allem über sich selbst. (Thomas Rottenberg / DER STANDARD RONDO, 16.12.2005)

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