Kulturstadtrat Peter Marboe, Autor Robert Schindel, Mörbisch-Intendant Harald Serafin und ORF-Kulturchefin Haide Tenner diskutierten mit Michael Cerha. Thomas Trenkler lauschte
Cerha: Wer macht Kunst? Die Künstler? Die Medien? Die Politiker? Oder nicht doch vielleicht auch das Publikum - und damit die Öffentlichkeit? Wir könnten sagen: die Künstler, wer denn sonst. Aber dieser Satz hält nicht, wenn man ihn näher betrachtet. Denn man muss sich fragen: Wer macht welche Kunst? Welcher Künstler hat die Mittel? Wie bekommt er sie? Welche Öffentlichkeit erfährt überhaupt, dass da wer Kunst macht? Welcher Politiker fördert welche Kunst mehr oder weniger? Wir befinden uns in einem Beziehungsgeflecht. Tenner: Ich muss ein flammendes Plädoyer für die Künstler halten. Denn alle anderen leben davon, dass den Künstlern etwas einfällt. Ich sehe auch gar keine Gefahr in der direkten Beeinflussung von Künstlern, sondern eher in der menschlichen Versuchung eines Künstlers, sich dem Mainstream unterzuordnen oder das zu produzieren, was finanziert wird, was erwartet wird. Auf der einen Seite werden nun auch in der Kunst Begriffe wie Marktnähe und Benutzerfreundlichkeit verlangt, auf der anderen Seite ist der Druck der Medien, die nur auf Neues reagieren. Und obwohl diese Gefahren groß sind: Die Künstler sind die einzige wirkliche Instanz, wenn es um den Begriff Kunst geht. Alles andere wäre eine Überschätzung der Personen rundherum. Diese mögen für den Augenblick von Wichtigkeit sein, langfristig gesehen sind sie es aber nicht. Schindel: Nur der Künstler macht Kunst. Was Kunst ist, bestimmt er aber in der Regel nicht. Die Kritik jedoch kann im Prinzip erst post festum feststellen, dass es sich hier um Kunst gehandelt hat. Das hat allerdings im Zeitalter der Medien den Sekundärbereich sehr geärgert - und damit meine ich die Kritik und alle jene, die etwas mit dem Kunstwerk machen. Dieser Bereich des Sekundären hat sehr stark zugenommen und droht, das Primäre mehr und mehr zu ersticken. Die Künst-ler sind daher angesichts der zunehmenden neoliberalen Auswertung von Kunst gut beraten, ihr Geschäft ungeachtet aller möglicher Einblasungen weiterzuführen. Serafin: Ich habe keine Ahnung von Kunst, ich bin nur ein Praktiker mit Instinkt dafür, was ankommt. Nur der Künstler macht Kunst. Aber er kann in seinem Kämmerlein Kunst machen, so viel er will, wenn es niemanden gibt, der die Kunst an die Wand hängt oder als Buch herausbringt, dann kann der Künstler nur sagen: "Ich war ein großer Künstler, aber keiner hat mich entdeckt." Es muss also eine Symbiose geben. Es muss Institutionen geben, die die Kunst weitertragen und dem Künstler bewusst machen, dass er Kunst macht. Wie meine gefalteten Hände: An jedem Finger muss eine andere Organisation sein, damit die Kunst in der Mitte leben kann. Marboe: Nur die Künstler müssen den Offenbarungseid leisten - und nicht die Vermittler. Aber es gibt noch eine zweite Frage: Wer macht Kunst möglich? Und da kommt man zu einer völlig anderen Diskussion. Als Kulturpolitiker fragt man sich: Welchen Stellenwert hat der künstlerische Diskurs in der Gesellschaft? Und da bin ich der Überzeugung, dass eine Gesellschaft, die sich wirklich mit Kunst auseinander setzt, eine vitalere, eine menschlichere, eine immunere gegen Anfechtungen und Vorurteile ist. Und das ergibt eine sehr konkrete Verantwortung für alle, die in der Kulturvermittlung tätig sind. Schindel: Das Steuergeld gehört aber nicht den Politikern! Es gibt jetzt Sprüche in der Art: "Man beißt nicht die Hand, die einen füttert." Am Horizont kommt sozusagen ein ganz gefräßiges Tier heraufgekrochen, das zum Künstler sagt: "Wenn du etwas von mir haben willst, dann musst du etwas tun, das mich erfreut." Das ist ein alter, autoritärer Begriff von Kunstförderung, der mich zwingt festzustellen: Es ist nicht das Recht, sondern die Pflicht einer zivilen Gesellschaft, die Kunst zu subventionieren. In ihrem gesamten Fächer! Denn es wäre eine entsetzliche Neidgenossenschaft, wenn sich experimentelle und konservative Kunst gegenseitig die Messer in den Körper rammten. Es gehört also die Gesamtheit gefördert. Und man muss Kunst genauso fördern wie Sport und Trachtenkapellen. Es gilt auch für die Kunst: ohne Breitensport kein Spitzensport. Wenn man das nicht tut, sind wir mit einem Sprung in autoritären Verhältnissen auch auf den anderen Gebieten. Marboe: Ich bin völlig seiner Meinung und kann nur sagen: Abhängigkeiten verringern, wo immer es geht! Lösen wir uns von dieser fürchterlichen Grundsatzdebatte der ideologischen Beeinflussung durch die Kunstpolitik. Denn dann kommt man automatisch zum Muss-Begriff. Es ist jedoch so: Kunst darf provozieren, muss aber nicht. Kunst darf schön sein, muss aber nicht. Kunst darf politisch sein, muss aber nicht. Alles darf sie, und nichts muss sie. Daher zum Beispiel längerfristige Partnerschaften und nicht einjährige Bittsteller-Rhythmen! Angesichts der Budgetlage müssen wir uns aber in Richtung privates Sponsoring öffnen, denn wir brauchen das Geld. Beugen wir rechtzeitig vor, damit nicht ein Debakel passiert wie in Deutschland, wo in den letzten Jahren 62 Theater geschlossen werden mussten! Zudem: Wenn das Sponsoring ausgebaut wird, werden auch Abhängigkeiten gestreut. Tenner: Das Geld für die Kunst brauchen wir von beiden Seiten. Die Frage ist aber nicht so sehr, mit wie viel muss ich etwas fördern, sondern was muss ich fördern. Die Sponsoren werden sich selbstverständlich auf möglichst populistische Kunst konzentrieren. Für den Staat wird daher die unangenehme Aufgabe übrig bleiben, mehr und mehr die sperrige, unbequeme Kunst zu fördern. Denn: Wenn wir unsere Gesellschaft nicht mit Kunst konfrontieren, werden wir bald das Geld, das wir heute nicht ausgeben, für die Gefängnisse brauchen. Serafin: Selbstverständlich brauchen wir Sponsoren, ohne die geht es überhaupt nicht. Ich habe 4,2 Millionen Sponsorgelder. Dafür mache ich eine solche PR, dass die Unternehmen sagen, ja, es rentiert sich für uns. Der Intendant muss eben vom hohen Ross steigen und um Geld fragen. Glauben Sie mir: Die Unternehmen geben gerne, wenn man ihnen dafür eine Gegenleistung bietet. Cerha: Serafin hat es wahrscheinlich mit Operette etwas leichter als ein Kellertheater, das Zettels Traum inszeniert. Es stellt sich daher die Frage, wie die Politik vorgeht. Sind die dreijährigen Partnerschaften schon diese Entflechtung von Kunst und Staat, die wir uns vorstellen? Herr Marboe, wie steht es um das Machtpotenzial des Kulturpolitikers? Marboe: Ich hätte Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Ausgliederung der Kunstförderung in einen Fonds. Denn der Kulturpolitiker darf sich nicht aus der Verantwortung verabschieden. Ich teile auch nicht die Skepsis, dass Sperriges nicht gesponsert würde. Man muss die Möglichkeit nur einmal in die Welt setzen. Cerha: Es bleibt für mich trotzdem ein Widerspruch, wenn die Politik sagt, sie darf sich nicht aus der Verantwortung der Kunstfinanzierung verabschieden, aber gleichzeitig zu verstehen gibt, dass die Kunst künftig mit weniger Geld zu rechnen hat. Marboe: Ich sehe da keinen Widerspruch: Das ist doch die Hauptverantwortung, dass die Politik innerhalb gewisser budgetärer Rahmen möglichst viel für die Kunst und Kultur herausholt. Aber es hat keinen Sinn, die Augen zu verschließen angesichts der Maas-tricht-Kriterien. Wir müssen daher nach alternativen Modellen suchen, um den wirklich hohen Standard im Kulturbereich halten zu können. Schindel: Auch wenn Peter Marboe mit seiner Person dafür geradesteht, dass es so sein soll, wie wir es gerne möchten, schaut die Politik anders aus. Die Bereitschaft, Kunst- und Kulturbudgets zu erhöhen, geht zurück. Es droht eine Kahlschlagpolitik. Der Kulturbegriff der Freiheitlichen lässt sich mit dem vergleichen, der im Ständestaat gang und gäbe war. Die Freiheitlichen sind, von Ausnahmen abgesehen, barbarisch. Allein schon der Kulturbarbarismus ist Grund genug, diese Formation zu bekämpfen. Tenner: Wenn das subjektive Empfinden der breite Masse, das so genannte gesunde Volksempfinden, zum alleinigen Kriterium für die Beurteilung von Kunst und deren Subventionierung wird, dann ist es zu spät. Daher sollten wir schon jetzt aufpassen. Die Medien können dazu einen großen Beitrag leisten. Und ich bin mir dieser Verantwortung durchaus bewusst. Serafin: Ich gehöre zu den Glücklichen, die zur aktuellen politischen Situation gar nichts zu sagen haben. Mir geht's gut. Und es freut mich, wenn Sie mich alle in Mörbisch besuchen. Es ist nicht das Recht, sondern die Pflicht einer zivilen Gesellschaft, die Kunst zu subventionieren. In ihrem gesamten Fächer! Robert Schindel Wenn wir unsere Gesellschaft nicht mit Kunst konfrontieren, werden wir bald das Geld, das wir heute nicht ausgeben, für die Gefängnisse brauchen. Haide Tenner