Einen Schritt zurück habe er getan und sein ganzes Blatt angesehen, sagte ein republikanischer US-Senator über seinen Präsidenten. Bush sei mit der Rede, die er Sonntagnacht in die amerikanischen Wohnzimmer getragen habe, als Führer "gewachsen". Das mag sein. Die Frage ist nur, ob sich Amerika und die Welt nicht einen Präsidenten erwarten dürfen, der ein wenig früher einen Blick auf die Folgen seiner politischen Entscheidungen wirft - und der vielleicht gar schon Führungsqualitäten wie Verantwortungsbewusstsein und Selbstdistanz hat, wenn er ins Weiße Haus einzieht.

Bushs Rede an die Nation war ein rhetorisch durchschnittliches Werk, das sich der Mittel der Übertreibung bediente - "Manche sehen die Herausforderungen im Irak und folgern, dass der Krieg verloren und keinen weiteren Heller oder Tag wert ist. Ich glaube das nicht" - und der persönlichen Ansprache: "Ich habe heute Abend eine Bitte: Geben Sie sich nicht der Verzweiflung hin, und geben Sie in diesem Kampf für die Freiheit nicht auf." Dieser Griff in die Rhetorikkiste ist legitim. Doch die Amerikaner verlangen nur zwei Antworten: Wie sieht der Plan des Präsidenten für den Irak aus, und wie lange will er die Truppen im Land lassen? Bush blieb dazu einsilbig.

Stil macht noch keine Einsicht, und Einsicht führt nicht automatisch zu politischen Kurswechseln. Der Auftritt des Präsidenten zur letzten Pressekonferenz des Jahres am Montag im Weißen Haus und nur Stunden nach seiner emotionalen Fernsehansprache lieferte einen glänzenden Beweis für diese Regel. Für den von der New York Times bekannt gemachten Spitzelauftrag an den US-Abhörgeheimdienst NSA - vom Präsidenten offenkundig unter Umgehung rechtsstaatlicher Prinzipien als Teil seines allumfassenden "Kriegs gegen den Terror" angeordnet - hatte George W. Bush nur einen Kommentar: ein "beschämender Akt" journalistischer Arbeit. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)