Warum die – wenn auch vielleicht gut gemeinten – Verstaatlichungspläne des Wahlsiegers Evo Morales dem Wirtschafts- und Sozialgefüge des Landes mehr schaden als nützen und damit die Hoffnungen gerade der Ärmsten der Bevölkerung enttäuscht werden.
Bolivien befindet sich in einer entscheidenden Phase seiner Geschichte: Die Entdeckung des Reichtums an Erdgasvorkommen als Quelle des Wohlstandes könnte auch dazu führen, dass das Land stattdessen dem so genannten "Fluch der Bodenschätze" zum Opfer fällt.
Die Erfahrung lehrt, dass es bisher kaum ein Land geschafft hat, eine leistungsfähige und faire Wirtschaft auf Mineral- oder Ölexporten aufzubauen. Eine primär auf natürlichen Ressourcen basierende Ökonomie hemmt das Wachstum und verstärkt Armut und Ungleichheit. Um zu verstehen, warum das so ist, braucht man gar nicht erst die Länder Afrikas oder des Nahen Ostens als Beispiele zu bemühen – Bolivien hat diesbezüglich genügend eigene Erfahrungen. Die Silber- und Zinnminen von Potosi bzw. Oruro sind ausgebeutet, ohne dass das der Entwicklung des Landes in irgendeiner Weise nachhaltig genützt hätte.
Die Schuldzuweisungen an die spanischen Eroberer oder die Wirtschaftsimperien des 21. Jahrhunderts können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Unsummen in korrupte Regierungen, ineffiziente Bürokratien und ebenso monströse wie sinnlose, weil nur mächtigen Einzelinteressen dienende Entwicklungshilfeprojekte geflossen sind.
Über 50 Billionen Kubikmeter Gas und das Schüren falscher Erwartungen sind der ideale Rohstoff, um dieses Muster der Unterentwicklung in Boliviens wiederzubeleben. Die "Bewegung für Sozialismus" unter der Führung von Wahlsieger Evo Morales will ein staatlich gelenktes Industrialisierungsmodell installieren, dessen Erträge auch den Kleinbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden zugute kommen sollen. An den Schalthebeln dieser Art von Ökonomie wird eine Regierung sitzen, die die Gelder verwaltet und verteilt und so die Wirtschaft "stimulieren" will.
Das Morales-Modell mag ja vielleicht durchaus von den besten Absichten geleitet sein, weil es den Ärmsten der bolivianischen Bevölkerung Hoffnung gibt, aber es wird nur den Weg ebnen, ebendiese Hoffnungen zu enttäuschen. Nicht zum ersten Mal: Nach der Nationalrevolution 1952 ist das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung 30 Jahre lang nahezu unverändert gelieben, über 50 Prozent lebten permanent unter der Armutsgrenze.
Ein staatlich gelenktes Entwicklungsmodell in Bolivien ist nicht zuletzt auch deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es starke Institutionen, weltoffene Bürger und Rechtsstaatlichkeit erfordert. Nichts dergleichen existiert aber derzeit in Bolivien, was zur Folge hat, dass das in der öffentlichen Hand konzentrierte Kapital in Günstlingswirtschaft und Korruption versickern wird.
Und was immer dann noch für Investments im Interesse des Gemeinwohls übrig bleibt, wird vergeudet werden, da Projekte dazu tendieren, Kosten-Nutzen-Rechnungen außer Acht zu lassen, wenn es sich um "leicht verdientes Geld" – in diesem Fall also großzügig von Mutter Natur zur Verfügung gestellte Mittel – handelt.
Illusionen
Solche dirigistischen Wunschträume werden im Übrigen nicht nur von der Morales-Bewegung geschürt, sondern weit gehend auch von den Parteigängern der Expräsidenten Quiroga und Medina. Es ist tatsächlich paradox, dass alle Kandidaten sozialen und ökonomischen Wandel versprechen, indem sie sich ausschließlich an der Vergangenheit orientieren und im selben Entwicklungsmodell verhaftet sind. Im Grunde sind sie alle zutiefst konservativ.
Die größte Herausforderung für die künftige Regierung sollte es daher sein, die Gefahren dieses "Fluchs der Ressourcen" zu erkennen und ein neues, kreativeres Modell zu erarbeiten.
Der Hauptfeind sind nicht "die Konzerne", sondern tief verwurzelte Mentalitäten, Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Erst wenn es gelingt, diese Verhaltensmuster nachhaltig zu verändern, werden sich auch für jeden Bolivianer mehr Zukunftschancen eröffnen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)