Wien/Berlin/Paris - Nach der Ablehnung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden im Frühjahr 2005 schien die EU-Verfassung politisch praktisch so gut wie tot.

Die Staats- und Regierungschefs reagierten im Juni wie gelähmt: "Wir sind der Auffassung, dass hierdurch das Engagement der Bürger für das europäische Aufbauwerk nicht infrage gestellt wird. Die Bürger haben jedoch Bedenken und Ängste zum Ausdruck gebracht, denen Rechnung getragen werden muss. Es ist daher notwendig, die Lage gemeinsam zu überdenken", schrieben sie in einer Erklärung. Nach dieser "Reflexionsphase" sollten im Juni 2006 neue Ideen kommen.

Eine der schwierigen Aufgaben des österreichischen EU-Vorsitzes. Die meisten Beobachter schlossen aus, dass vor den nächsten Präsidentenwahlen in Frankreich im Mai 2007 es zu irgendeiner Bewegung kommen könnte. Dies scheint sich seit der Einigung auf das EU-Budget am Wochenende geändert zu haben. Staatspräsident Jacques Chirac kündigte an, bald "ehrgeizige Vorschläge" zur Reform der EU-Institutionen zu machen. Diese müssten "demokratischer und effizienter" werden, damit die erweiterte Union in Zukunft funktionieren könne.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte am Montag nach: Sie werde vorschlagen, dass der unterschriebenen EU-Verfassung ein Sozialkapitel angefügt werden soll. Mit einem solchen Protokoll "zur sozialen Dimension Europas", so die Überlegung, könnte ein Ausweg aus der Krise gefunden werden. Den unter Valéry Giscard d'Estaing vom Konvent erstellten Text der Verfassung will Merkel nicht ändern.

Anders Tschechien: Dessen EU-Botschafter Jan Kohut erklärte in Brüssel, eine Änderung des Verfassungstextes sei vorstellbar, dieser sei "ja nicht die Bibel". Die vorliegende Verfassung ist bereits in dreizehn Ländern ratifiziert, die übrigen EU-Staaten warten ab.

Die österreichische Regierung spielt die Erwartungen jetzt rasch herunter: "Die Vorstellung, dass wir als Zauberkünstler oder als europäischer Kreativdirektor aktiv werden, wird sich nicht realisieren lassen", sagte Außenministerin Ursula Plassnik in Brüssel, denn "es gibt keine schnellen Lösungen oder raschen Antworten". (tom/DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)