Starsoziologe deutet Vorgänge in der Banlieue wie übklich sehr
radikal: "Nicht nur das französische Modell, das ganze westliche
Modell zerfällt in sich"
Redaktion
,
"Wir sind selbst das traurige Beispiel einer 'erfolgreichen' Integration in eine völlig banalisierte, technische und bequeme Lebensart", so Starsoziologe Jean Baudrillard.
Der französische Soziologe Jean Baudrillard deutet die Vorgänge in der Banlieue
wie üblich sehr radikal. "Das 'französische Modell' bricht unter unseren Augen
zusammen", meinte er vor einiger Zeit in einem Beitrag in der Zeitung Libération,
um voller Sarkasmus zu ergänzen: "Aber wir können beruhigt sein, nicht nur das
französische Modell bricht ein, das ganze westliche Modell zerfällt in sich." Zu
externen Symptomen wie dem Terrorismus kämen die Vorstadtunruhen von
innen.
Die ganze Einwanderungsthematik illustriere das Auseinanderfallen einer
Gesellschaft, die mit sich selbst nicht mehr zurecht komme: "Uns gelingt es nicht
mehr, unsere eigenen Werte zu integrieren; da wir sie nicht mehr befolgen,
verlangen wir sie - freiwillig oder unter Zwang - von den anderen." Wir wissen, so
Baudrillard, selbst nicht mehr, in welches Modell wir die Einwanderer integrieren
wollen. "Wir sind selbst das traurige Beispiel einer 'erfolgreichen' Integration in
eine völlig banalisierte, technische und bequeme Lebensart, und bemühen uns,
diese nicht zu hinterfragen."
Baudrillard wirft der westlichen Gesellschaft vor, dass sie durch die verlangte
Sozialisierung selbst jene Diskriminierung produziere, unter denen die
Einwanderer - und nicht nur sie - litten: "Das ist das Resultat des ungleichen
Austausches in der 'Demokratie'." Auch der Terrorismus zeigt laut dem
Starsoziologen die "totale Illusion", dass es genüge, den Rest der Welt auf das
Lebensniveau des Westens zu hieven. Eher schon sei mit einer ständigen
"Rückkehr der unvorhersehbaren Flamme" zu rechnen. (DER STANDARD,
Printausgabe, 23.12.2005)
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