Saddam al-Twankey ist tot, umso fideler tanzt die Witwe Twankey übers Parkett, mal als Diva in glitzernder Robe, mal als Waschweib im geblümten Kittel, beides in China. Der pfiffige Aladdin führt zwei Purzelbaum schlagende Polizisten der Pekinger Polizei, der Einfachheit halber Hanky und Panky genannt, ein ums andere Mal an der Nase herum.

Und wenn sich Abanazar anschleicht, der Schurke des Stücks, bricht im Saal der Tumult los. "Aladdin, pass auf, schau, wer hinter dir steht", "Look, who's behind you, Aaaalaaaddiiiiiiin!" Jetzt kommt die Panto erst richtig in Fahrt. Der Ausdruck ist von Pantomime hergeleitet, doch im Gegensatz zum stummen, feinsinnigen Gebärdenspiel ist diese Form laut und kernig.

Derb bis grotesk

Leicht irreführend auch Christmas Panto genannt, obwohl sie noch den ganzen Jänner läuft, ist das Spektakel der letzte Schrei der Saison. Ein Familienvergnügen, das witzig sein soll, auch mal derb sein darf, sogar überdreht bis ins Groteske, obwohl es sich hinter harmlosen Titeln wie "Snow White", "Cinderella" oder "Aladdin" versteckt. Dass mindestens eine weibliche Rolle von einem Mann gespielt wird, ist dabei ein Muss.

Eigentlich war sie schon totgesagt, schien ihr dasselbe traurige Schicksal zu blühen wie "Punch and Judy", Englands Antwort auf das Kasperltheater. Very british war die Panto, aber noch altmodischer als die gusseisernen, roten, runden Briefkästen der Royal Mail. Jetzt feiert sie wahre Triumphe.

Um eine Ahnung davon zu bekommen, reichen ein paar Stichproben, Recherchen bei den Nachbarn im Londoner Südwesten. Alle, ausnahmslos, wollen in eine Panto. Sofern sie noch Tickets kriegen. Im Herbst noch hatte die Panto den Ruf des Angestaubten, mit dem man moderne Menschen nicht aus dem Haus locken könnte. Jetzt planen diese gruppenmäßige Besuche der Aufführungen.

Was dieser Wandel schon vermuten ließ, haben ernst zu nehmende Kunstkritiker staunend bestätigt. "Die Panto ist wieder cool", schreibt Viv Groskop im New Statesman, einem Magazin, das so seriös ist, wie es sein Name verspricht. "Wir Briten lieben es eben, Traditionen neu zu erfinden, besonders dann, wenn sie vergessen sind."

Sir im Klamauk

Vielleicht liegt es auch nur an Ian McKellen. Der Mime, der im Erfolgsfilm "Herr der Ringe" den graubärtigen Gandalf spielt, ist sich nicht zu schade, vom Theaterolymp der "Royal Shakespeare Company" herabzusteigen in die Niederungen der Panto. Im Londoner Old Vic gibt kein Geringerer als McKellen, pardon, Sir Ian McKellen, die herrlich schräge Witwe Twankey.

Prompt folgt das ganze Land dem neuesten Trend: Sogar im Unterhaus haben sie Panto gespielt, auf Kosten eines gewissen Charles Kennedy. Der rothaarige Schotte leitet die Liberaldemokratische Partei, aber vielleicht nicht mehr lange. Er trinkt gern Whisky – zu gern nach dem Geschmack mancher Parteifreunde, die sich einen ehrgeizigeren Chef wünschen und begonnen haben, die Messer zu wetzen.

Auf seiner parlamentarischen Polsterbank sitzt Kennedy in der ersten Reihe, hinter ihm seine verschwörerische Fraktion. Neulich stand er auf, um eine Rede zu halten. Da tobten die Abgeordneten, bis auf die Liberalen natürlich, voller Hohn los: "Look, who's behind you, Charlie!” (DER STANDARD - Printausgabe, 24./25. Dezember 2005)