Michaela Falkner, A Fucking Masterpiece.
€ 15,- / 104 Seiten.


Michael Stiller, Lichtspiele.
€ 15,- / 100 Seiten.


Bernard Wallner, Papier Stein Schere.
€ 15,- / 93 Seiten.

Alle: Czernin Verlag, Wien 2005.

Buchcover: Czernin Verlag
Kultur und Kunst kennen ihre Aktivisten, und mögen die Klagen über den Buchmarkt auch anschwellen, so lassen sich doch immer wieder Hartnäckige auf das Abenteuer der Verlagsgründung ein. Hubertus Czernin rief 1999 sein Publikationshaus ins Leben, um auf der Basis österreichischer Kultur- und Geistesgeschichte für "unbequeme Themen" zu sensibilisieren. Das angekündigte Konzept findet sich in einer Reihe politologischer, historischer, philosophischer Werke - darunter zahlreiche über das Exil sowie ein feines Buch des PEN-Präsidenten Jiri Grusa - umgesetzt. Ein Porträt in der Neuen Zürcher Zeitung nannte Czernin lobend einen "Antiheimat-Verlag".

Dieser begibt sich nun dezidiert auf das belletristische Parkett und bietet erstmals ein kleines Programm neuer österreichischer Literatur. Zum Einstieg erschienen soeben drei schmale, wiewohl ambitionierte Prosabände. In der Kürze lassen sie erahnen, dass ein breites Spektrum narrativer Ansätze angestrebt ist, zeigen jedoch auch Unsicherheiten des Anfangs. Bernard Wallner liefert in Papier Stein Schere wohl eine einlässliche, in einigen Passagen vielschichtig gelungene Erzählung von einer Leni und einem Jakob, die sich treffen, verlieren und schließlich in einer Schutzhütte, hoch in den Bergen, ihren gemeinsamen Fluchtort finden. Etwas umständlich schildert Wallner ihre kleinen sozialen und sexuellen Bewegungen, Reisen, ihre schnellen Bekanntschaften von unterwegs, zu bemüht originell die erste Liebesszene als skurrilen Theatereffekt samt rustikalen Lyrismen. Mit einer "aus Loden gewalkten, langen Unterhose bekleidet, geschminkten Lippen und Rouge an den Wangen" tritt Jakob "barfuß in den schwachen Lichtkegel einer Glühbirne", rezitiert vor Leni sein Lob der "starken Weiber", unterbrochen von Regieanweisungen als Idyllenkulisse in Klammern: "(Liebevoll, vergleichbar mit einem Weiher, dessen Wasser schwarze und weiße Schwäne zieren, an dessen Ufern sich Pärchen einfinden, Lärchen in herbstlichem Gold rundum erstrahlen.)". Dies wirkt selbst als Kontrast zu den starken Weibern dick aufgetragen - wie einige Abschnitte, die bis zum Stabreim manieriert sind (ein Spiegel, der im "warmen Wind wimmernd hin und her pendelte"). Im letzten Satz sagt Leni: "Du wirst sehen, das Ende besticht durch seine Schlichtheit." Dafür hätte es zuvor allerdings nicht der vielen ausladenden Effekte und Partiziphäufungen bedurft; die Mischung aus problematisierter Heimatgeschichte und Roadnovel ist etwas überladen.

Interessant gestaltet Bernard Wallner die Parallelkonstruktion, in die er eine feine Kette von Motiven und eine subversive Reihe religiöser Elemente setzt. Von der Hochzeit ausgehend, führt er in einer Rückblende diverse Formen des Entfernens, der Beziehungslosigkeit der beiden Figuren bis zum Wiederfinden vor. In den besten Momenten ist die Erzählung so in Schwebe, wie es der Spiel-Titel Papier Stein Schere verspricht. Jede Bewegung kann die richtige oder auch die falsche sein - eine Frage der Beziehung.

Im Eilschritt durchmisst Michaela Falkner in A Fucking Masterpiece ein Frauenleben. Satzsplitter, Erinnerungsfragmente ohne Komma folgen aufeinander und schaffen einen Beziehungsbogen nicht auf der einzelnen Seite, sondern nur im Ganzen der Erzählung, auf deren Poetik Falkner gelegentlich verweist: "trennte den Erzählfaden brutal ab." Von Kindheit über Mutterschaftsandeutungen geht es im knappen Collagengewirr - dazwischen vierzeilige Montagen von Liedversen - bis zu Begräbnisfeierlichkeiten der "Schönen", dem einzigen langen Abschnitt. In einer Stimmenvielfalt lässt dieses Fucking Masterpiece allerlei Rollen-Ichs vermuten; in der Schmucklosigkeit des Nacheinanderprallens erzeugt es durchaus wunderbare Effekte: "Er zwang mich ihn zu erschießen weil ich seine Liebe nicht erwidern konnte. / Ein weiterer Anlauf verbat sich . . ."

Auf die Dauer allerdings entsteht der Eindruck, als werde beliebig in Biografien geblättert, an einem Satzsendegerät gedreht, einfach auf Rätselhaftigkeit gesetzt. Das Zappen als Zappeln: "Der ungläubige Blick auf diese unglaublich ungläubige Frau. / Grandiose Zumutungen. / Überbelichtete Erinnerungen. / Überantworten. / Ich sah auch als Teenager zu keiner Zeit unvorteilhaft aus. / Eine Geschichte der haltlosen Identitätskrise stand am Anfang der Fotografie." Aus dem Fragmentmaterial, den zitierten Sätzen wird zwischendurch ein Formelkatalog. Kurz: Michaela Falkners Collage öffentlicher und privater Rede-Weisen hält, wiewohl anregend, die lange Form nicht. Eine spannende Etüde des langsamen Lesens vermag dies temporeiche Masterpiece schon zu ermöglichen.

Die Identitätskrise und die Bilder: Zum häufig aufgegriffenen Thema arrangiert Michael Stiller in Lichtspiele eine originelle Versuchsanordnung in einem etwas vertrackt wirkenden Duktus. Erinnerungen wollen seinem Icherzähler nicht mehr gelingen, also begibt sich dieser Klaus Nendig auf Spurensuche in einen Altpapiercontainer, den er in seine Wohnung bringt. Durch einen Lichtspalt lässt er Reflexionen von früher, vor allem aus dem Familienalbum auf die Innenwand fallen. Der Behälter für gebrauchte Blätter zeigt das Gewesene als Projektion, dient als Dunkelkammer, in der das Ich sein Gehirn entwickelt. Geist und Körper finden nicht immer zusammen, die Handlungen erscheinen bisweilen im Passiv entpersönlicht - diese Momente geraten Stiller zu explizit: "Ein Pfefferminzkaugummi wird in meinen Mund gesteckt, die Hand greift den Bohrer vom Tisch [. . .]. Der Körper hievt sich in das Plastikinnere. Ich bin wieder bei mir."

Nendig versetzt sich in Geschichten der Verwandten zurück, zum Ego gehört ein Stammbaum in diversen Tonlagen. An jene von Thomas Bernhards "Ausgewandert" im Stimmenimitator erinnert, was der Cousine Martha und ihrem Mann, einem Monteur aus der Lüneburger Heide, widerfährt. Hier verleiht Michael Stiller seiner Prosa eine Ironie, die er fein ins Satirische zu wenden versteht, wenn seine Figur im Kapitel "Ausgedehnter Sendebereich" unwilliger Ohrenzeuge zweier Damen im Kaffeehaus wird. Die eigene familiäre Situation, er hat Frau und Tochter verlassen, spricht er erst in der Mitte der Lichtspiele an. Danach gestaltet sich der Gang durchs Gehirn zunehmend traumhaft, im Familienalbum schiebt eine Tante Bilder übereinander, ein Schweizer Onkel ist nur mehr im Möglichkeitssinn zu greifen.

Das Kontinuum österreichischer Identität, hieß es in der NZZ , werde in den Büchern des Czernin Verlages in Widersprüche aufgesplittert. Die Belletristik vermag da wohl weiterhin ihre Beiträge zu liefern. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2005)