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Vier der fünf angeklagten Krankenschwestern und der später freigesprochene bulgarische Arzt Zdrawko Georgiew (re.) während des Prozesses im Oktober 2003 in Bengasi.

Foto: Reuters
In Libyen wird der Prozess gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt neu aufgerollt. Die sechs waren in einem offenkundig politisch motivierten Verfahren zum Tode verurteilt worden.

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Tripolis/Sofia/Wien - Libyens oberster Gerichtshof hat am Sonntag in Tripolis die Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt aufgehoben. Alle waren im Mai vorigen Jahres für schuldig befunden worden, als ausländische Gastarbeiter 400 Kinder im Krankenhaus der Stadt Bengasi absichtlich und in Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst Mossad mit dem HI-Virus infiziert zu haben, um den Wüstenstaat zu "destabilisieren". Der Revision des Urteils gingen zahlreiche diplomatische Kontakte, auch der EU und der USA, mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi voraus. Zuletzt hatte Bulgarien zugesichert, in einen Hilfsfonds für aidskranke Kinder in Libyen einzuzahlen. Der Betrag soll morgen, Mittwoch, genannt werden.

Ende der 90er-Jahre war im Westen Libyens eine aus dem Tschad importierte Aids-Epidemie ausgebrochen, der auch etwa fünfzig Kinder aus dem Kinderkrankenhaus von Bengasi zum Opfer fielen. Um die Gemüter in der Gaddafi-kritischen Stadt zu beruhigen, hatten die Behörden 1999 das gesamte ausländische Krankenhauspersonal verhaftet. Die meisten wurden in den Tagen danach wieder freigelassen. Die Bulgarinnen, an deren teils christlichen Namen sich die Fantasie der Ankläger entzündete, blieben in Haft.

Während der Prozesse - einer in Bengasi, einer in Tripolis - mussten die bulgarischen Anwälte äußerst behutsam vorgehen. Sogar der französische Entdecker des Aidsvirus, Luc Montaignier, wurde als Zeuge aufgeboten, um den Vorwurf der "absichtlichen Infizierung" zu widerlegen. Immer wieder kam es vor dem Gerichtsgebäude zu Ausbrüchen des Volkszorns gegen die "Teufelinnen" aus Bulgarien. Erst am Sonntag wurden bulgarische Journalisten von Angehörigen des Opferverbandes mit Steinen beworfen.

Prozess wird neu aufgerollt

Für die Schwestern und den Arzt, die seit 1999 in libyscher Haft sind, ist das Martyrium mit der Aufhebung der Urteile noch nicht vorbei. Die obersten Richter bestätigten indirekt die Foltervorwürfe der Angeklagten an die Adresse der Gefängniswärter, nicht aber ihre Schuldlosigkeit. Der Prozess wird nun neu aufgerollt.

Die Schwestern seien in "schlechter psychischer Konstitution", sagte in Sofia Marian Georgiew, Sohn eines Arztes, der ebenfalls angeklagt, aber freigesprochen worden war, Libyen seither jedoch nicht verlassen darf. Besonders schlimm sei, dass die Schwestern nun für die Revision des Verfahrens nach Bengasi überstellt würden.

Trotzdem bewerteten die Anwälte, der bulgarische Staatspräsident Georgi Parwanow und die stark engagierte EU-Kommission das Urteil vom ersten Weihnachtstag einhellig als "gutes Zeichen". Der Strafverteidiger Osman Bisanti sagte, offenbar in Kenntnis von Verhandlungen hinter den Kulissen, die fünf bulgarischen Krankenschwestern könnten womöglich schon Anfang 2006 in ihre Heimat zurückkehren. Ein Vertreter des Opferverbands aus Bengasi sagte dagegen, er erwarte, dass neue Todesurteile gefällt würden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.12.2005)