Der beginnende Wahlkampf verleitet Italiens Premier Silvio Berlusconi zu immer eigenwilligeren Aussagen. Auf der traditionellen Pressekonferenz zum Jahresende warf der Regierungschef einer Journalistin der linken Zeitung L'Unità Mitverantwortung für Stalins Massenmorde vor. Der Premier hielt eine 53 Jahre alte Unità-Ausgabe zu Stalins Tod in die Höhe und erklärte der verdutzten Journalistin, sie sei "moralisch mitverantwortlich für die Ermordung von 150 Millionen Menschen".

Putin und Stalingrad

"Werfen Sie das auch Ihrem Freund Wladimir Putin vor?", erkundigte sich Marcella Ciarnelli. Berlusconi konterte, Putin sei ein "leidenschaftlicher Antikommunist, der als einziges Mitglied seiner Familie in Stalingrad überlebt" habe. Die Nachrichtenagentur Agence France Presse konfrontierte Berlusconi wenig später mit der Wahrheit: Putin sei erst 1952 geboren, sei bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion KP-Mitglied gewesen und seine Eltern hätten in Stalingrad 1942/43 überlebt.

Statt der geplanten Stunde dauerte die Pressekonferenz zweieinhalb Stunden. Auf die Frage, wie er die Unentschlossenen gewinnen wolle, hielt der Premier einen 17-Minuten-Monolog. Kernsatz: "Niemand in der Geschichte Italiens hat jemals so gut regiert wie wir."

In einer Fernsehdiskussion beschuldigte Berlusconi den Großunternehmer Diego Della Valle der "primitiven Demagogie". Della Valle witzelte über Berlusconis Gewohnheit, ständig Tabellen und Skizzen in die Kamera zu halten: "Wenn du stattdessen zugeben würdest, auch Fehler zu machen, würdest du bei der Bevölkerung besser ankommen." Berlusconi erwiderte eisig, er habe "noch nie einen Fehler begangen", und warf Della Valle "Volksverhetzung" vor. In einer weiteren Pressekonferenz erklärte der Premier, der Faschismus sei "durchaus keine kriminelle Ideologie" gewesen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.12.2005)