Mit der Entsendung von "aktiven Grenzbeobachtern" an den palästinensisch-ägyptischen Übergang Rafah übernahm die EU vor einem Monat ihre erste praktische Rolle im Nahostkonflikt. Dass die Mission keineswegs ungefährlich ist, zeigte sich am Freitag, als die EU-Beobachter kurzzeitig nach Israel flüchteten. Zuvor hatten palästinensische Polizisten, unterstützt von bewaffneten Anhängern der Fatah-Bewegung, den Grenzübergang blockiert. Am Tag davor war ein Polizist bei einer Schießerei am Kontrollpunkt getötet worden.

Die Mission, die noch in ihren Anfängen steckt und 2006 auf 70 EU-Beobachter - davon zwei Zollbeamten, zwei Polizisten und zwei Soldaten aus Österreich - anwachsen soll, steht unter großem Erwartungsdruck. Damit begibt sich die EU erstmals auf ein Minenfeld vor ihrer Haustür, wo bisher die Amerikaner die Führungsrolle innehatten. Die Aufgabe in Rafah wollten die USA aber nicht übernehmen. Für die EU ist sie eine Bewährungsprobe. Bisher beschränkt sich die EU zumeist auf zivile Aktionen in Krisenregionen: von der Entsendung von Polizisten bis zur Beratung bei Justizreformen. Die Europäer wollen aber ein Globalplayer werden und wissen, dass dazu verstärktes Engagement weltweit und auch im militärischen Bereich gehört. Das ist EU-intern umstritten, vor allem in neutralen Ländern wie Österreich und Schweden.

Die ersten Anfänge wurden mit der Militäraktion "Concordia" in Mazedonien gemacht, dann kam der "Artemis"-Einsatz im Kongo, die Beobachtermission in der indonesischen Provinz Aceh, der 2006 eine Polizeimission im Kosovo folgen könnte. Die EU-Beobachtermission in Rafah ist ein weiterer wichtiger Baustein der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und entscheidet auch über das Gewicht Europas auf der Weltbühne. Deshalb hängt vom Erfolg im Gazastreifen so viel ab, auch wenn die Europäer noch lange nicht als Weltpolizist gelten können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.12.2005/1.1.2006)