Rom/Paris/Beirut - Internationale Tageszeitungen schreiben in ihren Freitagsausgaben über den schwer kranken israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon:

"Le Figaro" (Paris):

"Das Vakuum scheint nicht ausfüllbar zu sein, das dieser alles überragende politische Lenker hinterlässt, der sich die Statur eines Mannes der Vorsehung geschaffen hatte. In dem politischen Leben Israels läutet seine Abwesenheit bereits ein brutales Erwachen ein. Nachdem das Land, müde nach so vielen Kriegen, sich von der Energie eines einzelnen Mannes hatte tragen lassen, steht es jetzt vor der Rückkehr zu einer beunruhigenden Normalität. Es droht der Weg zurück zu den politischen Spaltungen und den unregierbaren Koalitionen, kurz gesagt zur Unbeweglichkeit und zu einem Wiederaufflammen der Gewalt."

"The Guardian" (London):

"Es gibt viele Leute - und nicht nur Araber -, die wohl glücklich sind, wenn Ariel Sharon unter der Erde liegt, und zwar nicht unbedingt nach einem friedlichen Tod im Bett als Folge eines Schlaganfalls. Doch die scheinbar sichere Aussicht, dass er von der politischen Bühne Israels verschwindet kann nur als schlechte Nachricht für jene gelten, die hofften, der hartnäckigste Konflikt der Welt ließe sich lösen. Es ist eine unzulässige Vereinfachung, Sharons politische Laufbahn als eine direkte Entwicklung vom Falken zur Taube zu beschreiben. Eine Falke war er ganz sicher, war er doch in seiner gesamten Karriere als Soldat und Politiker mit der Gewalt verbunden, die stets die Beziehungen zwischen Juden und Arabern im Heiligen Land charakterisierte. Dennoch ist ein abschließendes definitives Urteil über die Hinterlassenschaft des Mannes, den so mancher als "Schlächter von Beirut" in Erinnerung behalten wird, schwer, wenn er seine Partei nicht in die schicksalhaft anmutenden Wahlen im März führen kann."

"Neue Zürcher Zeitung" (Genf):

"Israel hat abrupte Führungswechsel schon früher überstanden. Die Ermordung Ministerpräsident Rabins erschütterte zwar den jüdischen Staat, doch aus der Bahn geworfen wurde er nicht. Die Extremisten sind nach der Mordtat nicht stärker geworden, die Assimilationskraft der israelischen Demokratie war robust genug. Sharon reißt nun aber zu einem kritischen Zeitpunkt eine große Lücke, die nur schwer zu füllen sein wird."

"de Volkskrant" (Den Haag):

"Dass Sharon als Politiker ausgeschaltet ist, ist eine große Bedrohung für die von ihm begonnene Politik des einseitigen Rückzugs aus den besetzten Gebieten. Diese Politik ist in hohem Maße an seine Person gebunden. ... Sicher ist, dass Sharons Krankheit den Nahen Osten zu einem höchst ungelegenen Zeitpunkt trifft. Während immer deutlicher wird, dass es in den palästinensischen Gebieten eine Führungskrise gibt, die in Anarchie auszuarten droht, stehen die Israelis vor der Aufgabe, die destruktiven Kräfte im Zaum zu halten, die Sharons Ausschaltung hervorrufen kann. Beide Seiten müssen alles tun, um den zaghaften Erfolg des vergangenen Jahres - weniger Gewalt und der Beginn des israelischen Rückzugs aus besetzten Gebieten - nicht zunichte zu machen."

"Basler Zeitung" (Basel):

"Israelische Politik ohne Ariel Sharon - man muss sich an den Gedanken erst noch gewöhnen. Derart überlegen hat der Premier in den vergangenen fünf Jahren die politische Bühne im nahöstlichen Krisengebiet dominiert. Was hat diese umstrittene Figur so stark gemacht? Sharon schuf nach den turbulenten Jahren seiner Vorgänger Netanyahu und Barak innenpolitische Stabilität. Und vor allem gab er, in der glaubhaften Pose des Landesvaters, den von palästinensischem Terror verängstigten Israelis das Gefühl erhöhter Sicherheit. Echte Sicherheit war es nicht. Sharons Sicherheitsbegriff verengte sich auf die militärische Dimension. Ziel seiner Strategie war nicht ein friedlicher Ausgleich mit den Palästinensern, sondern die langfristige Sicherung Israels als Staat mit einer soliden jüdischen Bevölkerungsmehrheit."

"The Times" (London):

"Olmert, der ebenfalls früher ein Stützpfeiler des Likud war, teilte die Zweifel Sharons an der Partei und ihrer Rolle in der Zukunft des Landes. Eine der schwersten seiner ersten Entscheidungen wird nun sein, ob der Ausschluss der Palästinenser in Ost-Jerusalem von den palästinensischen Wahlen in diesem Monat aufrechterhalten bleibt. Er wird mit größter Wahrscheinlichkeit dabei bleiben, selbst wenn Mahmoud Abbas, der Palästinenser-Präsident, dies als Vorwand für eine Verschiebung der Wahlen nehmen wird, die zumindest im Gazastreifen ein Chaos erwarten lassen. Olmert muss die selbe stahlharte Stärke zeigen wie Sharon. Damit könnte er die israelischen Wahlen im März gewinnen. Danach das Mandat dafür zu nutzen, einen dauerhaften Frieden mit den Palästinensern zu erreichen, wird eine weit größere Herausforderung sein."

"Liberation" (Paris):

"Strikt in dem Sicherheitsrahmen gehalten, dem Ariel Sharon doch immer höchste Priorität eingeräumt hat, hat der von ihm eingeleitete historische Rückzug aus dem Gazastreifen eine Bresche geschlagen, dank derer vielleicht eines Tages so etwas wie ein "Friedensprozess" eingeleitet werden kann. Zweifellos braucht es ältere Staatsmänner, um zu einem von Dogmen befreiten Realismus zu gelangen, wie ihn der israelische Regierungschef schließlich an den Tag gelegt hat. Alter macht jene aber auch zerbrechlich, denen es diese Art Mindestmaß an Weisheit bringt. Die kommenden israelischen Wahlen schienen bereits gelaufen zu sein. Sie sind es nach dieser Entwicklung aber nicht."

"Financial Times" (London):

"Das nahezu sichere Ende der politischen Ära Sharon macht Vorhersagen über den aufgewühlten Nahen Osten noch schwieriger. Doch Unsicherheit kann auch auch Möglichkeiten der Gestaltung bedeuten. Die USA und Europa könnten nun zur Rückkehr zu einem aktiveren und kreativeren Engagement für die zur Wiederbelebung der Verhandlungen über eine dauerhafte israelisch-palästinensische Friedenslösung von gezwungen sein - nachdem sie in den letzten Jahren im Grunde nur Sharons Strategie gegenüber den Palästinensern übernommen haben."

"Trouw" (Den Haag): "Niemand weiß, wie es unter Sharon weiter gegangen wäre. Es sah so aus, als ob er sein Amt hätte behalten können. Aber ob er die Politik der Räumung jüdischer Siedlungen fortgesetzt hätte, weiß niemand. In diesem Sinn ist die Zukunft Israels mit oder ohne Sharon gleichermaßen unvorhersehbar. Der große Unterschied ist, dass Israel nun beweisen muss, dass es auch ohne Sharon weiter kommt. Das wird nicht einfach. Aber hoffnungslos ist es nicht. Schließlich beruhte auch Sharons Machtposition auf den Überzeugungen im Volk, wie es sich in einer Demokratie gehört. Es wird nur ein schwieriges Puzzle werden, ohne einen Kraftmenschen wie Sharon Führerschaft zu finden. Aber die israelische Politik war schon immer kompliziert." Schweiz/Pressestimmen/Nahost

"Tages-Anzeiger" (Zürich):

"Als wäre die Lage im Nahen Osten nicht schon vertrackt genug, taucht mit dem Abgang Ariel Sharons von der politischen Bühne in Israel ein Element auf, welches das Bild der Region zusätzlich verschwimmen lässt. Im Irak herrscht nach wie vor Krieg, unter Umständen bald auch Bürgerkrieg zwischen den großen Volksgruppen. Syrien könnte den Zwist im Libanon schüren, um von seiner Rolle bei der Ermordung Rafik Hariris abzulenken, welche die UNO ungewohnt aggressiv untersucht. (...) Der Abzug der jüdischen Siedler aus dem Gazastreifen war die eine, der Bau einer Sperranlage im Westjordanland die andere Konsequenz. Eine Mehrheit der Israeli folgte dem Premier und hätte seiner neuen Partei bei den für Ende März geplanten Wahlen wohl einen Sieg beschert. Offen aber bleibt, ob Sharons Taktik längerfristig einen Konflikt entschärft hätte, der nun nach seinem Abgang weiter von einer Lösung entfernt scheint als fast je zuvor."

"Nepszabadsag" (Budapest):

"... Sharon war der Schöpfer des Konzepts des einseitig oktroyierten, nicht in Verhandlungen erzielten Friedens. Mit den Palästinensern hat er nie geredet, Arafat ins Abseits manövriert. Was seine Nachfolger tun werden, darüber kann man nur spekulieren. Eines ist jedoch sicher: in schicksalsentscheidenden Situationen verlangt die israelische Demokratie nach einem starken Ministerpräsidenten mit starker parlamentarischer Unterstützung sowie nach starken Konzepten, doch all dies ist nirgendwo sichtbar. Die palästinensische Autonomie wird auf lange Zeit zwischen die Mauern von Gaza gezwängt bleiben, mit einer unrühmlichen Gegenwart und vielleicht auch einer unrühmlichen Zukunft."

"Berner Zeitung":

"Ohne Ariel Sharon fehlt in Israel der starke Mann, nach dem sich die Massen sehnten und der erforderlich war und ist, um schmerzliche Verzichte durchzusetzen. Schmerzliche Verzichte ohne Gegenleistung zu Gunsten der Palästinenser, sagen die Gegner von Sharon. Schmerzliche Verzichte zu Gunsten der israelischen Sicherheit, betonte der altersweise gewordene Sharon, der den Palästinensern ihren eigenen Staat zugestand. (...) Mit Sharons Ausscheiden von der politischen Bühne sind die Israeli führungslos geworden. Ehud Olmert wird im Fall eines Wahlerfolgs zwar Sharons pragmatischen Kurs weiterführen wollen. Doch er wird ihn selbst mit ausländischer Hilfe kaum in die nahöstliche Wirklichkeit umsetzen können. Es fehlen ihm dazu Sharons Charisma, Durchsetzungsvermögen und Sturheit. Ohne diese Fähigkeiten ist im Heiligen Land kein Staat zu machen, weder in Israel noch bei den Palästinensern."

(APA/dpa)