Nicht nur Geologen und Ozeanografen, auch zwei deutsche Ökonomen stellen die Gilgamesch/ Bibel-Darstellung infrage.

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Hamburg - Den Bauern, die vor 7500 Jahren die Ufer des heutigen Schwarzen Meeres beackerten, muss es vorgekommen sein, als hätte der Himmel seine Schleusen geöffnet: Am Bosporus, der Meerenge zwischen Europa und Asien, war ein natürlicher Damm gebrochen. Die Sturzflut ergoss sich mit der 200fachen Wucht der Niagarafälle aus dem Marmarameer ins Schwarze Meer, das damals noch 150 Meter tiefer lag und ein Binnensee war. In kürzester Zeit verschwanden 100.000 Quadratkilometer Ackerland in den Fluten. Die Anwohner flüchteten in Panik oder ertranken.

Das Inferno am Bosporus, behaupten seit Jahren die Geologen Walter Pitman und William Ryan aus den USA, sei die Vorlage für die biblische Sintflut-Erzählung. Ihr Hauptbeweis sind zwei Muscheltypen vom Grund des Schwarzen Meeres. Die einen hatten vor 7500 Jahren in Süßwasser gelebt, die anderen 500 Jahre vorher im Salzwasser. Folgerung: Salzwasser muss ins "Meer" eingedrungen sein.

Das Szenario der amerikanischen Forscher erscheint plausibel. Denn die Sintflut fiel in eine Zeit weltweiter Klimaänderung. Nach der letzten Eiszeit schmolzen die Gletscher, die damals weite Teile der Erde bedeckten. Das Schmelzwasser ließ die Pegel der Ozeane um 130 Meter ansteigen, acht Prozent der Landfläche versanken. Vor 12.000 Jahren war das Mittelmeer so weit angestiegen, dass es ins Marmarameer überlief. Nach weiteren 4500 Jahren sprengten die Wassermassen den Bosporus. Erst dadurch wurde der überflutete Süßwassersee zum salzigen Schwarzen Meer.

Im Jahr 2004 legte eine Gruppe um den Ozeanografen Mark Siddall von der Universität Bern nach. Um herauszufinden, welche Ablagerungen eine Sintflut am Bosporus hinterlassen hätte, simulierten sie eine Flut im Rechenmodell. Ein plötzlicher Wassereinbruch ins Schwarze Meer habe demnach eine Strömung ausgelöst, die die Meerenge in einer steilen Kurve verlassen habe, berichteten die Forscher im Fachblatt Paleoceanography.

Tatsächlich findet sich auf dem Meeresgrund ein entsprechender Kanal. Auch einige mehrere hundert Meter hohe Sandhügel auf dem Grund des Meeres könnten von einem sintflutartigen Wasserfall angeschwemmt worden sein, meint Mark Siddall.

Bezeichnende Verse

Allen naturwissenschaftlichen Indizien zum Trotz vertrauen Historiker der etablierten Meinung, dass der Sintflutbericht auf Überschwemmungen der beiden großen Flüsse Euphrat und Tigris in Mesopotamien, dem heutigen Irak, zurückgeht. Zwei deutsche Forscher wollen die Historiker nun dazu bringen, die Standardtheorie zu überdenken. Die Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Siegfried und Christian Schoppe liefern erstmals auch historische und sprachwissenschaftliche Argumente für die Schwarzmeer-Theorie.

Sie melden sich anlässlich einer neuen Übersetzung des Gilgamesch-Epos zu Wort, die der Heidelberger Assyriologe Stefan Maul vorgelegt hat. Die Verse stützen Schoppe zufolge die Schwarzmeer-Theorie. So heißt es von den in den Fluten untergegangenen Menschen: "Wie Fische im Schwarm füllen sie jetzt das Meer." Ausdrücklich sei also von einem Meer und nicht von Flüssen die Rede.

Der seit Jahren andauernden Suche nach der Arche Noah könnten die Schoppes neuen Schwung verleihen. Das gegen den Uhrzeigersinn zirkulierende Oberflächenwasser des Schwarzen Meeres habe die Arche tatsächlich gegen die Gestade des Ararat getrieben. Und das ging so: Die Bosporus-Sintflut verschluckte die flach gelegene Nordküste des Schwarzen Meeres und riss die örtlichen Pfahldörfer fort. Auf den Holzbauten seien Menschen und Tiere der Strömung folgend an die osttürkische Küste getrieben, meinen die Schoppes. Das Katastrophenszenario sei im Laufe der Zeit zur Geschichte der Arche Noah verdichtet worden.

Die beiden Ökonomen planen, ihre Theorie bei einer historischen Fachzeitschrift einzureichen. Doch sie machen sich keine Illusionen über einen schnellen Erfolg: "Das Thema Sintflut", haben sie beobachtet, "gilt unter Historikern derzeit als unwissenschaftlich." (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8. 1. 2006)