Gerhard Fritsch

Foto: Wr. Stadtbibliothek
Wien - War das eine Aufregung, als die Wiener Stadt-und Landesbibliothek vor gut zwei Jahren den Nachlass des 1969 durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Autors Gerhard Fritsch von dessen Sohn um 654.075 Euro ankaufte. Zu einem grotesk überhöhten Preis, wie der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler meinte. Zum Vergleich: Die Nachlässe der literarisch ungleich höher anzusetzenden Erich Fried und Ödön von Horváth schlugen mit je 510.000 Euro zu Buche.

Manche sind tot mehr wert als lebendig. Aber selbst das trifft in diesem Fall nicht wirklich zu, betrachtet man den Status von Fritsch innerhalb des heutigen Literaturkanons, der sich bestenfalls als Außenseiterposition beschreiben lässt. Im Buchhandel verfügbar ist aktuell lediglich sein umstrittener zweiter Roman Fasching (1967). Im Frühjahr wird das nachgelassene Romanfragment Katzenmusik folgen, wie Fasching auf Initiative und mit einem Nachwort von Robert Menasse.

Wer war Gerhard Fritsch? Diese Frage versucht derzeit eine Ausstellung in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek im Rathaus zu beantworten, die sozusagen die ersten Früchte des teuren Nachlassankaufes darstellt und entsprechend vor allem zahlreiche Dokumente aus Fritschs Wirken vorführt: Ausschnitte aus Tagebüchern, Manuskripte, Typoskripte oder Beispiele für seinen Briefverkehr mit Kollegen wie Thomas Bernhard. Als Autor gehörte Gerhard Fritsch einer Generation an, die in den frühen 50ern zu schreiben begann, aber im Vergleich zu den Avantgardisten oder den in der nachfolgenden Dekade gestarteten Bernhard, Handke, Jelinek keinen so prägnanten Stil entwickeln konnte und deshalb heute praktisch vergessen ist.

Am ehesten noch kennt man Fritsch als den Literaturbetriebler, als der er nach seiner Kündigung bei der Wiener Stadtbibliothek 1959 bis zu seinem Tod zehn Jahre lang freiberuflich tätig war. So machte er sich als Redakteur und Herausgeber der Zeitschriften Wort in der Zeit, Literatur und Kritik und protokolle einen Namen, wirkte als sensibler Lektor, aber auch als Volksbildner.

Wenn das vom Leiter der Handschriftenabteilung Hermann Böhm und dem Fritsch-Dissertanten Stefan Alker für die Ausstellung Man darf nicht leben, wie man will zusammengetragene Material ein bisschen wie Kraut und Rüben wirkt, dann hat das hier schon seine Berechtigung. Fritsch war eben eine extrem widersprüchliche und zerrissene Figur. Man nehme nur seine beiden Romane Moos auf den Steinen (1956) und Fasching. Ersterer präsentierte sich restaurativ, beschwor nach dem Krieg, den Fritsch als Funker erlebte, den habsburgischen Mythos und brachte seinem Autor großen Erfolg. Letzterer gestaltete sich als komplexer, böser Abgesang auf das alles andere als entnazifizierte Nachkriegsösterreich, das den Autor zwischenzeitlich bitter enttäuscht hatte, und floppte.

Wie zerrissen Fritsch gewesen sein muss, das lässt sich auch an der tiefen Kluft ablesen, die zwischen dem grell düsteren Österreich-Bild in seinen späten Texten und Auftragsarbeiten wie dem patriotischen Jubelgedicht Wir sind Österreich herrscht. Man darf nicht leben, wie man will, das bezieht sich hier auf Mehrgleisigkeiten, zu denen Fritsch sich als freier Autor offenbar verpflichtet sah. Weit gehend ausgeklammert wird in der Ausstellung dagegen leider die interessante sexuelle Komponente von Texten wie Fasching mit seinem transvestitenhaften Helden und die anderen Hinweise, die es auf eine unterdrückte Homosexualität des Autors gibt.

Gezeigt werden viele Facetten, einer Gesamtdarstellung aber verweigert sich Gerhard Fritsch bislang beharrlich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.1.2006)