Herrlich ist die Welt, wenn Ordnung herrscht und Übersicht gewahrt werden kann, wenn sich Ereignisse und Phänomene in Zahlen, Daten, Fakten gießen lassen und unverrückbare Wahrheiten feststehen.

Die Welt ist alles, was der Fall ist, behauptete Ludwig Wittgenstein im Tractatus Logico-Philosophicus, und obwohl der in Österreich gebürtige Philosoph sein Werk erst im Jahr 1918 der Vollendung zuführte, könnte der Satz genauso gut aus dem Jahr 1916 stammen, weil er schließlich der erste des Opus und somit dessen Beginn war. Damit wäre das berühmte Zitat heuer genau 90 Jahre alt - eigentlich ein Grund für groß angelegte Feiern.

Doch halten wir uns nicht mit unwissenschaftlichen Spekulationen auf, sondern konzentrieren wir uns auf jene Jubiläen, die verbuchtermaßen tatsächlich der Fall sind. Niemandem kann in den vergangenen Monaten beispielsweise entgangen sein, dass eines davon seit 250 Jahren feststeht. Wolfgang Amadeus Mozarts Geburt hat für die heimische Kulturindustrie den unschätzbaren Vorteil, dass sie in Salzburg und somit in Österreich stattfand, noch dazu am 27. Jänner, womit sich vorzüglich ein Mozartjahr konstruieren und am Rande auch vermarkten lässt.

Im Schatten der zu erwartenden Klangwolken erlauben wir uns dennoch darauf hinzuweisen, dass auch die Baukunst gelegentlich Jubiläen feiern könnte, wenn man wollte. Nicht zuletzt sind Architektur und Musik verwandte Künste. Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling beispielsweise (der, nebenbei bemerkt, im Vorjahr 230 Jahre alt geworden wäre, was keinen sonderlichen Widerhall in der Weltöffentlichkeit zur Folge hatte) behauptete, Architektur sei "erstarrte Musik", für Kollegen Arthur Schopenhauer war die Baukunst ebenfalls nichts anderes als "gefrorene Musik".

Beginnen wir also die wert- und wertungsfreie ALBUM-Architektur-Jubiläumsparade mit einem musikalisch-architektonischen Event, der sich heuer immerhin zum 570. Male jährt: 1436 wurde der von Brunelleschi vollendete Dom zu Florenz zu den Klängen einer Motette Guillaume Dufays eingeweiht, deren kompositorische Strukturen nichts Geringeres als die Proportionen des zu bejubelnden Bauwerkes zur Grundlage hatten. "Nuper rosarum flores" heißt das Stück übrigens, und wer, wes Alter auch immer, sich in die fast überirdisch schöne Proportionslehre der Renaissance in musikalischer Form vertiefen möchte, dem sei die - heuer übrigens genau ein Dutzend Jahre alte - CD "Utopia Triumphans" des Huelgas Ensembles eindringlich ans Herz gelegt.

Ob Ludwig Mies van der Rohe Klavier oder Geige spielte, ob er überhaupt musikalische Leidenschaften an den Tag legte, kann an dieser Stelle nicht ergründet werden. Eines steht jedoch fest: Deutschlands berühmtester Baukünstler des 20. Jahrhunderts wurde heuer vor exakt 120 Jahren in Aachen geboren. Von etwaigen Feierlichkeiten zu diesem Anlass ist derzeit noch nichts bekannt, offenbar entspricht man posthum dem Leitsatz dieses epochalen Vertreters der Moderne, der da lautete: "Weniger ist mehr."

Auch Tirol könnte, wenn es gedächte, heuer einen großen Sohn der Heimat ehren: Clemens Holzmeister erblickte daselbst und ebenfalls im Jahre 1886 das Licht der Berge. Macht wiederum einen runden 120er für einen, der tatkräftig das architektonische Geschehen mitbestimmte und dank seiner großen und erfolgreich tätigen Schülerzahl weit über seinen Tod hinaus beeinflusste. Unnötig zu erwähnen, dass er der Kreateur des Salzburger Festspielhauses war, womit sich der Kreis zu Mozart elegant schließt.

Ein weiteres Architekturjubiläum dürfte in den USA, im Speziellen in New York, heuer sehr wohl, wenn auch in kleinerem Rahmen mit oder ohne Musik begangen werden. Der im Vorjahr verstorbene Tyrann der dortigen Szene wäre heuer 100 Jahre alt geworden: Philip Johnson. Verehrt und verhasst, man wird seiner gedenken, und zwar noch lange.

Bereits 1978 starb der gebürtige Venezianer Carlo Scarpa - auch er kam 1906 zur Welt und wäre somit heuer runde 100. Seiner dankbar eingedenk könnten nicht nur die Vertreter der Architektur sein, sondern auch Designer und Leute, denen die Architektur immer noch ein raffiniertes, modifiziertes Produkt gediegenen Handwerks ist.

Themen- oder besser Gliedmaßenwechsel: Ob das Fußballspielen tatsächlich von den Chinesen vor 2300 Jahren erfunden wurde oder doch von den Azteken Mittelamerikas, darüber streiten die Experten noch. Doch auch aus diesem Themenkreis lassen sich interessante Zahlen- und Datumsspielereien herleiten, auch wenn die Geburtsstätte des "modernen" Fußballs mit England feststeht. Während also Deutschland seinen Stolz über die prächtigen, der kommenden Fußballweltmeisterschaft harrenden Stadien nur ungern verhehlt, steht das älteste Fußballstadion Südamerikas in Uruguay. Dort wurde auch die erste WM 1930 ausgetragen und auch gleich von den Gastgebern gewonnen.

Das könnte ein Omen für Deutschland sein, das zwar sein erstes Spiel gegen Costa Rica und damit unter Umständen gegen mittelamerikanische Azteken-Nachfahren machen wird, sich derzeit in kultureller Hinsicht aber eher noch für das sich bald rundende Todesjubiläum Heinrich Heines rüstet, weil man den Ticos fußballerisch sowieso nichts zutraut. Denn Friedrich Schiller, der zur Freude seiner Verleger 2005 seit 200 Jahren tot war, ist mittlerweile wieder Staub von gestern. Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen. Die Verlagswelt stürzt sich also jetzt eben hurtig auf Heinrich Heine, denn der wird es 2007 immerhin auf 150 Jahre Abgang bringen.

Bis dahin sind es zwar noch ein paar Wochen hektischer Vorbereitungen und Gesamtausgabedruckens, doch ein dergleichen forsches Vorpreschen in Jubiläumsangelegenheiten beflügelt auch unseren Weg in das bevorstehende Architekturjubiläumsjahr 2007.

Es wird ein wunderbares Jahr: Edouard Jeanneret, alias Le Corbusier, heuer erst 119, wäre dann 120 Jahre alt geworden. Sein brasilianischer Kollege Oscar Niemeyer wird - und alle hoffen bei guter Gesundheit und der ihm innewohnenden Carioca-Fröhlichkeit - an der Copacabana den 100. Geburtstag feiern. Ziemlich sicher ohne Mozart, dafür mit Samba und Fußballschauen, weil das seine, für einen Brasilianer quasi standesgemäße und offen deklarierte Leidenschaft ist. Fast genau 1100 Kilometer weiter wird man in Brasília den nunmehr exakt ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Baubeginn der Hauptstadt begehen.

Bis dahin kann Günther Domenig 20 Jahre Werkestätigkeit an seinem Steinhaus feiern, Adolf Krischanitz seinen 60er begehen, der Karl-Marx-Hof den 80-jährigen Planungsbeginn verzeichnen, Tadao Ando 65 Jahre alt werden, die Architekturbiennale Venedigs das Dutzend voll machen, und es kann darüber hinaus des 50-jährigen Todesjubiläums Josef Hoffmanns gedacht werden. Zu guter Letzt bleibt auch der Architekten liebster, weil der strengen Linie in Schwarz verpflichteter Mode-Macher Helmut Lang von Jubiläen nicht verschont: Er wird heuer 50. Wir gratulieren allen herzlich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.1.2006)