Berlin - Finanzpolitiker der Union erwarten von der ersten Kabinettsklausur der großen schwarz-roten Koalition in Deutschland Anfang der Woche ein klares und gemeinsames Votum für einen strikten Sparkurs. Es gebe eindeutige Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag, und die müssten eingehalten werden, sagte Unions-Fraktionsvizechef Michael Meister (CDU) der dpa. CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter forderte, die "katastrophale Haushaltssituation" müsse wieder stärker in den Blick geraten. "In den vergangenen Wochen haben eher dissonante Einzeltöne aus Kabinett und Fraktionen die Diskussion geprägt."

Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) wies Vorwürfe zurück, die Koalition betreibe die Konsolidierung des Bundeshaushalts nicht entschlossen genug. "Wir gehen sparsam mit dem Haushaltsgeld um", sagte der Arbeitsminister der "Bild am Sonntag". Er fügte hinzu, die Koalition wolle trotz knapper Kasse auch das Wachstum stimulieren. "Wir wagen den Ausbruch nach vorn", sagte er.

Vor der zweitägigen Klausur in Genshagen bei Berlin sorgten vor allem Wünsche von Sozialpolitikern aus Union und SPD nach Mehrausgaben für Streit. Besonders umstritten sind Vorstöße, die Krankenversicherung der Kinder vom Jahr 2007 an über Steuern zu finanzieren, die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt werden. Für die dafür benötigten 14 Milliarden Euro müsste Kampeter zufolge die Mehrwertsteuer auf über 20 Prozent steigen oder der Solidaritätszuschlag mehr als verdoppelt werden.

Kombilöhne

Hinzu kommt die Debatte über staatliche Lohnzuschüsse, die so genannten Kombilöhne. Auf der Klausur, an der auch die Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD teilnehmen, sollen unter anderem ein "Wachstumspaket" sowie der weitere Reform-Fahrplan festgezurrt werden.

"Ziel ist die Rückkehr zu mehr Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Haushaltskonsolidierung", sagte Meister. Dafür müssten von der Klausur deutliche Signale an die Wirtschaft ausgehen. Nach den Worten Kampeters zeigt der Stimmungswechsel in der Wirtschaft und bei Konsumenten, "dass eine langfristig angelegte und klare Politik auch schon kurzfristig Wirkung zeigt". Alle Ressorts müssten ihre Politik auf Wachstum und Konsolidierung ausrichten. Es dürften keine Verträge zu Lasten Dritter geschlossen werden, betonten beide Politiker.

Finanzpolitik

Im Jahr 2007 schlägt nach Kampeters Worten die "Stunde der Wahrheit" für die Finanzpolitik. "Da ist kein Spielraum für Luftbuchungen." Die Gesundheitspolitik müsse zunächst eine Bilanz der bisherigen Reform vorlegen. Danach waren für das nächste Jahr eigentlich Überschüsse und Kassenbeitragssätze von 13 Prozent prognostiziert. "Bevor Steuermilliarden in das Gesundheitssystem gepumpt werden, muss eine ehrliche Bilanz und Fehleranalyse vorgenommen werden."

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz forderte die Regierung zu größeren Anstrengungen bei der Haushaltssanierung auf. Eine Mehrwertsteuererhöhung "zum Stopfen von Haushaltslöchern" lehnte das Mitglied des Sachverständigenrats im Südwestrundfunk ab.

Die umstrittenen Punkte

  • Haushalt: Für Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) geht es darum, die Begehrlichkeiten seiner Kabinettskollegen zu bremsen und wieder ein klares Votum zur Haushaltskonsolidierung zu erreichen. Immer neue Vorschläge aus allen Lagern belasten den Bundeshaushalt. Schon zum Zeitpunkt der Koalitionsvereinbarung war für 2006 eine Rekord-Neuverschuldung von 41 Milliarden Euro unterstellt, um auch Konjunkturimpulse zu finanzieren. Kommen noch mehr Vorhaben dazu und wird nicht an anderer Stelle gespart, droht eine noch höhere Verschuldung. Das würde es noch schwieriger machen, 2007 den Euro- Stabilitätspakt und Grundgesetz-Vorgaben wieder einzuhalten.

  • Familienpolitik: Wegen der Haushaltslage ist bis zuletzt umstritten, in welcher Höhe berufstätige Eltern Kosten für die Kinderbetreuung steuerlich absetzen können. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte auf 3000 Euro gehofft, Steinbrück wollte dies auf 1000 Euro begrenzen. Möglich ist eine Stufenlösung je nach Alter und eine Abzugsfähigkeit von 1500 Euro. Umstritten ist in der Union auch, ob mit dem von 2007 an geplanten Elterngeld Druck auf berufstätige Väter zur Kinderbetreuung ausgeübt werden darf.

  • Atomkraft: Weil sich Union und SPD nicht über die Zukunft der Atomkraft einigen konnten, legten sie im Koalitionsvertrag fest, dass es beim Atomausstieg bleibt. Merkel will am Atomkonsens festhalten. CSU-Chef Edmund Stoiber fordert wie einige CDU-Politiker, dass die Koalitionsvereinbarung in dem Punkt geändert wird. Stoiber will nicht den Ausstieg vom Atomausstieg, für besonders sichere Kernkraftwerke sollen aber Laufzeiten verlängert werden. Er will die SPD umstimmen.

  • Agrar/Verbraucher: CSU-Landwirtschaftsminister Horst Seehofer will die Gentechnik "befördern". SPD-Politiker befürchten, dass die Gentechnik dann auch ungesichert angewendet werden kann. Seehofer plant zudem, eine Bevorzugung von Bioprodukten vor konventionellen Erzeugnissen zu beenden. Die SPD bestreitet, dass Biobauern unterm Strich bevorzugt würden. Beim Verbraucher-Informationsgesetz - das auch als Konsequenz aus dem Fleischskandal erneut geplant ist - steht Streit über den Umfang der Bürgerrechte bevor. Die SPD fordert, dass nicht nur Behörden, sondern auch Firmen auskunftspflichtig sind.

  • Kombilohn: Union und SPD wollen den Niedriglohnsektor neu ordnen und auch Kombilohn-Modelle prüfen. Die CDU will solche staatlichen Lohnzuschüsse für Langzeitarbeitslose oder gering Qualifizierte schon von 2007 an ohne zusätzliche Kosten einführen. SPD und CSU zeigten sich wie Ökonomen und Verbände skeptischer und warnten vor einem neuen "Milliardengrab" sowie Mitnahmeeffekten. Zudem gebe es mit dem Arbeitslosengeld-II-Zuverdienst praktisch schon Kombilöhne.

  • Gesundheit: Die Finanzexperten der Koalition wenden sich gegen Pläne der Sozialpolitiker und Merkels, die Krankenversicherung der Kinder ab 2007 über Steuern zu finanzieren. Sie kritisieren, dass dann neben der schon beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Jänner 2007 eine weitere Steuererhöhung fällig würde. Sozialexperten hatten sich dafür ausgesprochen, die 14 Milliarden Euro, die Beitragszahler im Jahr für die Behandlung von Kindern aufbringen müssen, aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren und den Kassenbeitrag um 1,5 Prozentpunkte zu senken.

  • Sozialkassen: Noch in der Koalitionsvereinbarung stimmten Sozialpolitiker der Forderung zu, den gesetzlichen Krankenkassen den Staatszuschuss für versicherungsfremde Leistungen von 4,2 Milliarden Euro ab 2007 wieder zu streichen und die Dynamik des Bundeszuschusses an die Rentenkassen zu stoppen. Jetzt soll Steinbrück nicht nur für Krankenkassen mehr zahlen statt zu sparen. Auch wird gefordert, dass der Bundeszuschuss für die Rentenkassen von zuletzt 55 Milliarden Euro wieder nach der alten Formel festgelegt wird: Bei steigenden Löhnen und Beitragssätzen erhöht sich auch der Anteil des Bundes.

  • Gesundheitspolitik: Deutlich auseinander liegen Union und SPD - aber auch Gesundheits- und Finanzpolitiker - beim Großprojekt Gesundheitsreform. Die Regierung will im ersten Quartal ein tragfähiges Reformkonzept vorlegen, das Elemente beider Seiten zusammenführt. Während die SPD im Wahlkampf auch Beamte und Selbstständige einbeziehen wollte ("Bürgerversicherung"), setzte die Union auf einen Einheitsbeitrag samt steigendem Steueranteil. (APA/dpa)