Eszter Sümegi als Tosca

Foto: Wiener Staatsoper GmbH / Axel Zeininger

Am Wochenende sprang an der Wiener Staatsoper Giacomo Puccinis Tosca zum 500. Mal in der Inszenierung von Margarethe Wallmann in den Bühnentod. Betrachtungen vom Stehplatz aus.

Wien – Zum Jubiläum also wieder einmal: Tosca am Stehplatz. Die Kassa ist jetzt – hoppla, neu! – hinten bei der Parterregarderobe, die, bevor die Staatsoper sich Karajanplatz-seitig ein Kaffeehaus implantieren ließ, ein sehr nettes Büfett war. Die Stehplatzkassenschlange ist immer noch an Ort und Stelle, serpentinengleich winden sich zweieinhalb Stunden vor Aufführungsbeginn zusammengepfercht gut 100 Leutchen im Staatsoperninneren, und minütlich kommen neue dazu.

Viele junge Menschen aus Fernost sind da, Hot-Dog-mampfend und sich selbst fotografierend, und andere fremdländische, Stadtpläne in Händen haltend. Vorfreude und Müdigkeit ringen allerorten um die Befindlichkeitsherrschaft, zweitere obsiegt mit zunehmender Wartezeit.

Tosca, muss man wissen, ist die tollste Oper der Welt. Zwei Stunden Liebe, Kampf und Leidenschaft, und am Ende sind alle tot. Puccini hat dazu die schönste, wildeste, großartigste Musik überhaupt geschrieben, randvoll mit Schmerz und Begehren, Gewalt und Sehnsucht. Ein bemitleidenswertes Hartei, wer bei der Folterszene im 2. Akt nicht leidet wie ein Hund, der bei den vokalen Trapezsprüngen des Liebespaars im ersten nicht zerspringt vor Glück.

Die aktuelle Wiener Tosca gibt es mittlerweile – incredibile! – seit 48 Jahren. 500 Vorstellungen hat das wunderschöne Bühnenbild von Nicola Benois schon durchgehalten, und es soll zu seinem 50er unter Denkmalschutz gestellt werden, bitte schön. Margarethe Wallmann hat damals, in der Ära Karajan, Regie geführt; im Staatsopernmuseum kann man auf einem Schwarz-Weiß-Foto eine elegante Dame in den besten Jahren betrachten, die in dunklem Abendkleid formvollendet Akklamationen entgegennimmt.

Eine Million Zuschauer

Wallmann verstarb Anfang der 90er-Jahre in Monaco, ihre Tosca aber lebt weiter auf ewig. Über eine Million (!) Staatsopernbesucher haben im letzten halben Jahrhundert unzählige Wallmann-Toscas lieben, leiden und sterben gesehen: Renata Tebaldi war die erste, Hildegard Behrens, Grace Bumbry, Gwyneth Jones, Mara Zampieri u. a. folgten.

Im letzten Jahrzehnt war Eliane Coelho eine ideale Besetzung: Glamour, Stolz und lebenserfahrene Leidenschaft verschmolzen in ihrer Tosca auf wundersame Art und Weise. Mit Wicus Slabbert als nicht minder charismatischem Scarpia fetzte sich die Coelho im zweiten Akt oft raubkatzengleich: unvergesslich, dies. Neil Shicoff gab, so er gerade in Wien weilte, auch gern den Cavaradossi: Man konnte und wollte soviel sängerische und darstellerische Potenz kaum fassen.

Rätsel gibt hingegen das vokale Wirken des Jubiläums-Cavaradossi auf: Salvatore Licitra irrlichtert zwischen sprödem Würgegesang und strahlender Kraftentfaltung hin und her. Ihm zur Seite gibt Eszter Sümegi eine vokal tadellose, glanzvolle Tosca, die darstellerisch jedoch etwas zu sehr ins Ordinäre spielt.

Ein bestaunenswertes Ereignis hingegen Alberto Mastromarino. Der Italiener spielt nicht, er ist Scarpia: Wohnt da wirklich im Bühnenbild des Palazzo Farnese, diniert und betreibt zum Dessert sein grausames Machtpokerspiel.

Das ewige Hin und Her, Vor und Zurück der Puccini'schen Musikwogen hat Vjekoslav utej gut im Gefühl; dennoch spielt das Staatsopernorchester besser, differenzierter, gefühlvoller, als es vom Kroaten angeleitet wird. Das alles sieht und hört man vom Galeriestehplatz ganz außerordentlich gut: ausgewogener als von den vorderen Logen, wo das Orchester zu sehr dominiert, und intensiver, präziser als von den Parterreplätzen.

Am Ende sind, wie gesagt, alle tot, und das Geschrei ist groß – oben beim Fußvolk des Musiktheaters natürlich am allergrößten. Die Diva ist tot, es lebe die Diva.

Ein Friedhof der Opernklassiker

Im Fundus der Wiener Staatsoper lagern neben Margarethe Wallmanns Tosca aus 1958 noch weitere Inszenierungen von ähnlicher Bühnenreife. So ist Josef Gielens Einrichtung von Giacomo Puccinis Madama Butterfly – José Cura dirigiert im Mai ihre Wiederaufnahme – noch um einige Monate älter als die (weit öfter gespielte) Tosca: Sie hatte im September 1957 Premiere.

Neben den zwei Repertoire-Greisinnen ist in dieser Saison auch noch reichlich Mittelaltes vom seinerzeitigen Opernregietycoon Otto Schenk zu bestaunen: Ludwig van Beethovens Fidelio etwa geht in seinem 36. Bühnenjahr in Schenk'schen Verliesen um, Richard Strauss' Rosenkavalier wird im April nicht mehr ganz taufrische 38 Bühnenlenze alt, Gaetano Donizettis L'elisir d'amore kommt nun schon ins 33. Jahr. Und Giuseppe Verdis Traviata darf man immerhin seit 34 Jahren – wie all die anderen nur mehr – in einer Inszenierung "nach" Otto Schenk ihrem Ende entgegenhüsteln sehen ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.1.2006)