Helen Dahm
Foto: Aviva Verlag
Georgia O'Keeffe
Foto: dabu
Manchmal fallen einer Bücher in die Hände, die vor dem Einschlafen genossen, die wunderschönsten Traumbilder produzieren. Dann tauchen farbintensive Landschaften, üppig leuchtende Blüten, markante Köpfe, bunte lebensfrohe Fantasiegestalten, eindrucksvolle Plastiken und Installationen vor dem inneren Auge auf. Der Kunstwissenschafterin Hanna Gagel ist mit dem Band "So viel Energie - Künstlerinnen in der dritten Lebensphase" eine solche Meisterinnenleistung gelungen.

In sechzehn umfassend recherchierten Porträts mehr oder weniger bekannter Künstlerinnen - Marianne Werefkin, Käthe Kollwitz, Helen Dahm, Sonia Delaunay, Hannah Höch, Georgia O’Keeffe, Louise Nevelson, Alice Neel, Lee Krasner, Louise Bourgeois, Meret Oppenheim, Verena Loewensberg, Agnes Martin, Maria Lassnig, Magdalena Abakanowicz und Niki de Saint Phalle - belegt die Autorin das bisher unbeachtet gebliebene Phänomen der späten Schaffenskraft, jenes der dritten Lebensphase, die zwischen 50 und 80 Jahren angesiedelt ist und zeigt auf, dass mit zunehmendem Alter eine Intensivierung des Werks, insbesondere ihre Authentizität betreffend, zu beobachten ist.

"Ab 50 scheinen sie unbekümmerter zu arbeiten", schreibt Gagel, "eine neue Freiheit zu erleben, die oft mit einem Energieschub verbunden ist. Offensichtlich mobilisiert das Verfolgen eigener Ideen und Arbeiten die Lebensenergien und hält das kreative Potenzial wach, wenn es auf individuellen Lebens- und Kunstkonzepten basiert". Viele der vorgestellten Künstlerinnen können bzw. müssen auf schwierige Schicksale, Krisen und Brüche zurückblicken, als sie jenseits der 50 noch einmal durchstarten. Doch gerade diese Erschütterungen, so scheint es, zeichnen ihre künstlerischen Umsetzungen aus. Manche stellten Jahrzehnte hindurch ihr eigenes kreatives Potenzial zugunsten der tatkräftigen Förderung ihrer Lebensgefährten zurück. Bei anderen wiederum erfolgte das Vertrauen in die spezielle Begabung und deren Enfaltung erst nach einem enttäuschenden Beziehungsende oder dem Tod des Partners.

Neben den beeindruckenden Lebensgeschichten und dem reichen Bildmaterial, das die Werke der Künstlerinnen greif- und verstehbarer macht, räumt der Band aber auch mit dem weit verbreiteten Vorurteil gegen das Alter auf. "Eine neue Welt geht uns auf, jenseits der Defizitorientierung in Bezug auf das Alter, der Fixierung auf Altersabbau oder der Angst vor Alzheimer".

Die heute noch aktive, 1911 geborene Louise Bourgeois, war bereits 88, als sie ihre weltberühmte "Maman" schuf. Käthe Kollwitz stellte ihre "Pietà" mit 70 fertig. Die Malerin Helen Dahm (siehe Buchcover) lief 85-jährig zu ungeahnter Kreativität auf. Die 86-jährige Maria Lassnig malt noch immer ... Aber lesen Sie selbst, das Buch ist wirklich zu empfehlen! (dabu)