Kiew/Wien - Mehr als fünf Jahre nach der Ermordung des ukrainischen Journalisten Georgi Gongadse begann am Montag in Kiew der Prozess gegen drei ehemalige Polizisten und einen Exgeneral. Letzterer ist flüchtig. Ob das Verfahren die entscheidende Frage nach den Hintermännern des Mordes beantwortet, bleibt fraglich.

Der ehemalige Präsident Leonid Kutschma wird verdächtigt, den Mord an dem regimekritischen Journalisten in Auftrag gegeben zu haben. Kutschma weist die Vorwürfe zurück. Er gibt aber zu, dass die Stimme auf einem Tonband, das ihn belastet, seine ist. Auf dem Tonband spricht ein Mann mit der Stimme Kutschmas mit Mitarbeitern über Möglichkeiten, Gongadse "loszuwerden". Im Juni 2004 empfahl ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Amtsenthebungsverfahren und strafrechtliche Ermittlungen gegen Kutschma.

Korruption

Nach mehreren Berichten Gongadses in der Internetzeitung Ukrainska Pravda über Korruption in der Regierung war der prominente Journalist im September 2000 verschwunden. Zwei Monate später wurde seine enthauptete Leiche in einem Wald bei Kiew gefunden.

Der Prozess ist politisch hochbrisant. Die Massenproteste, die der Mord an Gongadse auslöste, gaben der Opposition Auftrieb und mündeten Ende 2004 in die "orange Revolution", die den demokratischen Machtwechsel erzwang. In dem Verfahren geht es auch um die Glaubwürdigkeit der politischen Führung unter dem Kutschma-Nachfolger Viktor Juschtschenko. Dieser versprach nach seinem Amtsantritt die volle Aufklärung des Falles Gongadse.

In einem Interview mit dem Spiegel sagte Juschtschenko zu Jahresende auf die Frage nach den Auftraggebern des Mordes, dies sei "viel komplizierter". Zugleich bestritt er, dass mit Kutschma Stillschweigen vereinbart worden sei, um den Machtwechsel nicht zu gefährden.

Einer, der vermutlich die Hintermänner kannte, kann nicht mehr reden: Juri Krawtschenko, einst Innenminister unter Kutschma, wurde Anfang März 2005 nach angeblichem Selbstmord tot aufgefunden. In einem Abschiedsbrief machte er "Kutschma und dessen Umgebung" für seinen Selbstmord verantwortlich. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2006)