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Foto: Reuters/Prammer
STANDARD: Ihr Stück handelt von einer der berühmtesten Künstlerkolonien in Nachkriegsösterreich: dem "Tonhof" in Maria Saal, wo der Komponist Gerhard Lampersberg von 1957 bis 1961 allerlei Künstler und Literaten um sich versammelte, darunter H. C. Artmann, Thomas Bernhard - und auch Sie, den italienischstämmigen Tischlerbub aus dem Ort. Sie haben sich selbst in dem Stück poetisch wiederauferstehen lassen . . . Turrini: Als dicken, Gedichte schreibenden 15-Jährigen.

STANDARD: Was hat Sie bewogen, die Kärntner "Tonhof"-Geschichte ausgerechnet jetzt auszugraben? Üblicherweise schlägt man den Themenkomplex der Thomas-Bernhard-Rezeption zu. Bernhard hat in "Holzfällen" ein vernichtendes Bild seines Mäzens Lampersberg gezeichnet.

Turrini: Sie haben völlig Recht, es handelt sich um eine unzeitgemäße Ausgrabung, aber offensichtlich kann ich mir die Themen meiner Stücke nicht wirklich aussuchen. Es wäre auf der Höhe der Zeit, ein Stück über die Globalisierung zu schreiben - und ich schreibe über Dinge, die beinahe 50 Jahre zurückliegen und erst jetzt herauskommen. Ich brauche diese Vorfindungen in mir, diesen biografischen Bodensatz, diese Beobachtungen von Dingen und Menschen, auch solchen aus der Vergangenheit, um überhaupt schreiben zu können.

Ich hätte Josef und Maria nicht schreiben können ohne den alten kommunistischen Zeitungsverkäufer, den ich auf der Jesuitenwiese kennen gelernt hatte. Auch Minderleister wäre nicht entstanden, wenn ich nicht selbst in der damaligen Voest gearbeitet hätte. Aber gerade diese Verankerung in der Wirklichkeit gibt mir den Mut zur Erfindung, zur poetischen Fliegerei. Meine Stücke sind keine Abziehbilder der Wirklichkeit, keine Schlüssellochdramen. Keine reale Person wird in meinem neuen Stück wiedergegeben, kein Wort ist - gemessen an den damaligen Ereignissen - wahr.

Aber ich hoffe doch, dass mein Stück wahrhaftige Sätze über Menschen enthält. Insofern habe ich mit der ganzen "Bernhardiana" gar nichts zu tun. Bernhard hat die Lampersbergs bis zur Kenntlichkeit vorgeführt, er hat auf sie zugeschrieben, ich schreibe von ihnen weg. Bernhards Roman Holzfällen ist ein großartiges Buch, aber eine menschliche Schweinerei. Er hat jahrelang von der Unterstützung der Lampersbergs gelebt. Aber es steht ja nirgendwo geschrieben, dass sich Talent und Charakter die Waage halten müssen.

STANDARD: War Bernhard nicht immer Wettkämpfer? Damals der Kleinste am Tisch, waren vor ihn zum Beispiel die Größen der "Wiener Gruppe", wie H. C. Artmann oder Konrad Bayer, gereiht. Ihm blieb die Rolle des Zuhörers. Irgendwann sagt so jemand: "Euch alle werde ich es noch einmal zeigen!"

Turrini: Sie ziehen mich immer tiefer in die biografische Debatte hinein, aber offensichtlich ist so viel Ärger in mir, dass ich mich ziehen lasse. Ich habe als 15-Jähriger erlebt, wie Bernhard den Gerhard Lampersberg angefleht hat, etwas von ihm zu vertonen. In Holzfällen hat er ihn dann als "schlechten Komponisten in der Webern-Nachfolge" bezeichnet.

Dieser literarische Satz wurde als reales Urteil über den Komponisten Gerhard Lampersberg angenommen. Das hat Lampersberg halb um den Verstand gebracht. Verdammt noch mal, das tut mir weh, bis heute, denn ich habe ihm und seiner Frau viel zu verdanken! Sie waren meine ästhetischen Erzieher. Aber hören wir auf mit dem Wirklichen, ich habe ja ein Stück geschrieben, etwas Erfundenes.

STANDARD: Zugleich zitiert Ihr Stück die Form des großbürgerlichen Gartenkonversationsstückes. Anno 1959 versammelt sich ein völlig aus der Zeit herausgefallenes Grüppchen von Bohèmiens und deren Geldgebern, um einer unwirtlichen Umgegend - Kärnten - so etwas wie einen Raum der Möglichkeiten abzutrotzen. Halten Sie der Nachkriegswirklichkeit ein letztes Mal die Utopie entgegen? Nach dem Motto: Aus unserer Bourgeoisie hätte noch etwas werden können?

Turrini: Aus der Bourgeoisie, die sich in meinem Stück wenigstens noch für Kunst interessiert, ist gar nichts geworden, sie ist fachverblödet. Und aus den Künstlern, die ich beschreibe, ist sehr viel geworden. Was Sie zur Form, zum Topos meines Stückes sagen, ist richtig. Ich weiß, dass es diese Gartenkonversationsstücke mit weißem Kies und weißen Gartensesseln schon lange gibt, aber für mich war es etwas Neues.

STANDARD: Peter Turrini als bürgerlicher Dramatiker?

Turrini: Daran sehen Sie, wie wenig Wahl ich habe, ich muss immer alles neu ausprobieren, für mich entdecken. In meinen bisherigen Stücken "entspannen" sich die Verhältnisse durch Mord und Totschlag. In diesem wird geplaudert und gewitzelt, und alle Zerstörungen und Katastrophen müssen erspürt werden, sie finden jenseits des Textes statt.

Ich habe mit Dietmar Pflegerl, dem Regisseur der Uraufführung, immer wieder über diesen Punkt gesprochen. Was ich vor ein paar Tagen auf einer Klagenfurter Probe gesehen habe, löst diese Absicht sehr gut ein. Nichts entspannt sich, das Stück, diese Nachmittagsunterhaltung könnte am nächsten Tag wieder weitergehen. Man kann sich auch in der Rozznjogd nicht vorstellen: Morgen gehen der junge Automechaniker und seine Bekanntschaft wieder auf den Schuttabladeplatz, um sich erneut ihrer falschen Wimpern, der Haarteile, Kosmetika, der Tascheninhalte und der Kleidung zu entledigen.

Wir witzeln und schwätzen uns zu Tode! Aber lassen Sie mich noch einen Satz zur Vorfindung, zum Biografischen sagen. Dieses Stück wurde bei den Mülheimer Theatertagen und auf einem Warschauer Symposium vorgelesen. Es hat dort keinen Menschen interessiert, wer hier wer sein könnte. Und ich hoffe, das geschieht auch bei der Uraufführung am kommenden Samstag in Klagenfurt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 1. 2006)