Wien - In einer Live-Diskussion im Rahmen des Ö1-Abendjournals erklärte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, er wolle mit dem österreichischen EU-Ratsvorsitz "Europa so konkret wie möglich erlebbar machen". Man wolle "weg von der großen rhetorischen Phrase hin zu den konkreten Antworten", etwa durch Maßnahmen für die Förderung von Klein- und Mittelbetriebe, Sicherung der Energieversorgung und mehr Forschungsausgaben, die beim EU-Gipfel im März beschlossen werden sollen, erklärte Schüssel am Dienstag Abend.

"Schuss Optimismus"

Als weitere "ganz konkrete Dinge" nannte er EU-Programme für Flüchtlinge in Afrika, den Schutz der Konsumenten gegen die Vogelgrippe und die Verbesserung der inneren Sicherheit. Den Bürgern solle auch "begreiflich" gemacht werden, was die EU bereits gebracht habe, etwa das historisch niedrigste Zinsniveau und eine Vielfalt an Waren durch den Binnenmarkt. "Europa braucht nach dem schwierigen und schlechten Jahr 2005 einen Schuss Optimismus", betonte der Kanzler, der auch ein Ende der "Hahnenkämpfe" zwischen den EU-Institutionen und des Streits zwischen großen und kleinen Staaten oder Nettozahlern und Nettoempfängern forderte.

Bildung nicht gemeinschaftliches Recht

Schüssel bestätigte seine Kritik an angeblich ausufernden Kompetenzen der EU in bestimmten Bereichen. Die Frage des Uni-Zugangs für EU-Ausländer in Österreich "geht den Europäischen Gerichtshof nichts an", betonte er. Bildung sei "eindeutig" nicht gemeinschaftliches Recht, kritisierte der Kanzler die "seit einigen Jahren" bestehenden Tendenzen, EU-Befugnisse "auszudehnen". Dagegen kämpfe er "für mehr Europa, wo es sinnvoll ist", etwa bei den Gefahren der Vogelgrippe, dem Welthandel oder den Flüchtlingsströmen aus Nordafrika. Hier sei "jedes Land national überfordert". Man müsse die Zuständigkeiten von Union und Mitgliedstaaten "balancieren", da es sonst eine "schiefe Ebene" gebe und "alle Macht in die Zentrale Brüssel rennt".

BürgerInnen sollen Unbehagen äußern

Fragen nach dem Schicksal der EU-Verfassung wich Schüssel erneut aus. Zunächst soll es eine Zukunftsdebatte unter Einbindung der Bürger geben, etwa durch den "Speakers' Corner" am Wiener Ballhausplatz, Aktionen zum Europatag am 9. Mai oder eine Subsidiaritätskonferenz. Erst nachdem die Bürger ihr "Unbehagen" geäußert haben werden können, solle man die Diskussion über die Frage wieder aufnehmen, wie man mit dem Text der Verfassung umgehe. Inhaltlich lobte er die Verbesserungen, die die Verfassung für die Handlungsfähigkeit der Union bringe. Er verwies auf die Schaffung der Position eines europäischen Außenministers, das Klagsrecht für Bürger vor dem EuGH, die Aufwertung des Europäischen Parlaments und die einfachere Beschlussfassung.

Die Position des Regierungspartners BZÖ, der die EU-Verfassung bereits abgeschrieben hat, kommentierte der Kanzler mit einem Verweis auf die unterschiedlichen Meinungen zu dieser Frage in ganz Europa. Als "wichtiges Signal der Hoffnung" wertete er die Ankündigung des finnischen Parlamentspräsidenten Paavo Lipponen, wonach Helsinki die auf Eis gelegte Ratifizierung der EU-Verfassung wieder aufnehmen könnte.

Umfragen

Schüssel wiederholte auch seine Deutung jüngster Umfrageergebnisse über die Einstellung der Österreicher zur EU. In Wirklichkeit habe es "nicht allzu viel Veränderung gegeben". Immer schon sei ein Drittel für und ein Drittel gegen die EU gewesen. Jenes "Drittel in der Mitte" habe man bei der EU-Beitrittsvolksabstimmung gewinnen können, nun sei es aber "in den Wartestand" gegangen. Zudem seien lediglich 27 Prozent der Österreicher für den Austritt aus der EU. Dies zeige, dass sie sich "vielleicht eine bessere, effizientere, bürgernähere EU wünschen (...), aber keineswegs daran denken, dieses Projekt fallen zu lassen". (APA)