Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war zu Weihnachten. Eigentlich zu Chanukka. Aber weil es sich kaum eine Religion nehmen lässt, dann wenn es kalt und dunkel ist, ein Fest zu feiern, bei dem der zunehmenden Düsternis mit immer mehr Kerzen entgegengewirkt wird, behaupte ich, dass der Unterschied hier irrelevant ist: Kinder kriegen Geschenke, Erwachsene ebenso, man isst zuviel – und wenn es sich vom Kalender her halbwegs ausgeht, reden eh alle von „Weihnukka“. Soviel nebenbei und zum Setting.

Als wir dann wie Max und Moritz nach dem Beutezug durch Witwe Boltes Kamin herumknotzten und nicht mehr „Paff“ sagen konnten, zückte M. sein Spielzeug – und schaltete es ein. Er sagte „anzünden“, aber das, merkten wir gleich darauf, war Teil des Unterfangens, bei dem M. die Raucher in der Runde als Betatester verwendete.

Nichtrauch-Ei-des-Kolumbus

Denn ob M. selbst mit dem Rauchen aufhören will, ist nicht sicher. Auf alle Fälle aber glaubt er, mit seinem Hightech-Tschick, das Rauchentwöhn-Ei des Kolumbus im Mund zu haben: Das Ding in seiner Hand rauchte, glühte an der Spitze beim Anziehen rot und sah auch sonst einer etwas dicken Zigarette (oder schlanken Zigarre, aber doch kein Zigarillo) durchaus ähnlich. Und die Raucher schworen, dass das Ding sogar echt schmecke.

Allerdings ist die „Electronic Cigar“, die M. da auspackte, eben ein Fake. Ein mikroprozessorgesteuertes Substitut, das M. – hauptberuflich nach eigenen Angaben Europas größter eBay-Großhändler mit einem Portfolio von interessanten bis absurden Waren der seltsamsten Art – in China entdeckt hat und heuer in Europa groß raus bringen will: Nicht genug damit, dass das Ding raucht wo kein Feuer ist, lassen sich über das Mundstück auch genau dosierte Nikotinmengen verabreichen. Und nach einer – vermutlich individuell festlegbaren – Zahl von Zügen, sperrt sich die Nicht-Zigarette für ein paar Stunden selbst: Damit man nicht zuviel pofelt.

Wohlgefühl

Die Raucher im Wohnzimmer waren begeistert: Rein technisch rauchten sie ja nicht. Also blieb ihnen der Gang auf die zugige Terrasse erspart: Wie in der guten alten Zeit konnten sie im Wohnzimmer zwischen den in Lego- und anderen Geschenkebergen tobenden Kindern liegen und sich im wohligen, postmahlzeitlichen Guter-Schenker-Wohlbehagen suhlen. Noch besser: Als versierte High-Tech-Spielzeug-Freaks konnten sie reihum auch noch das Gefühl genießen, ein Techno-Tool zu benutzen, bevor andere überhaupt davon erfahren hätten.

Alle waren glücklich. Oder zumindest fast. Die Sache mit dem „Auch-haben-Wollen“ bedauerte M. nachdem er den kleinen Feldversuch für erfolgreich beendet (und zuvor noch erzählt hatte, wie er sich das Teil im Flieger genüsslich „angeraucht“ hatte und zuerst der entsetzten Stewardess – und dann dem begeisterten Captain – bewiesen hatte, dass das Ding wirklich nicht gefährlicher als ein iPod sei) erklärt hatte, funktioniere noch nicht. Weil der Mikrochiptschik so ein geiles Gerät sei, würden die chinesischen Hersteller zicken und zocken: Es sei noch nicht ganz sicher, ob wirklich er den Zuschlag für den Vertrieb erhalten würde. Und weil das Gedrängel im Warteraum der Fake-Rauchwarenhersteller so groß sei, könne man im Einkauf den Preis auch kaum drücken: Etwa 160 Dollar werde eine elektronische Zigarre kosten.

Die Raucher husteten – und flüchteten auf die Terrasse. M. blieb am Sofa sitzen und sagte, er sei dennoch optimistisch. Als wir die frierende Runde draussen traurig im Eisregen stehen sahen, verstanden wir warum.