Berlin/Oslo/München/Paris/London/Rom - Der Streit um das iranische Atomprogramm ist am Mittwoch Gegenstand von Pressekommentaren:

Der Tagesspiegel, Berlin

"Weil die Iraner nun die Siegel der Atomenergiebehörde erbrochen haben, beginnt die Uhr zu ticken. Denn mit jedem Testlauf, mit jeder Umwandlung von Uran hin zu waffenfähigem Material robbt sich der Iran ein wenig näher an das Ziel heran, einen Atomwaffensprengkopf bauen zu können. Deshalb muss jetzt der Druck möglichst rasch erhöht werden. Anfang März könnte die IAEO den Fall an den UN-Sicherheitsrat überweisen. Der müsste dann Sanktionen beschließen, die dem Iran wirtschaftlich wehtun und das Land politisch isolieren. Ob Russland und China diesen Weg mitgehen, ist offen. Doch jeder, der mehr politischen und wirtschaftlichen Druck auf Teheran verhindert, muss wissen, dass er damit Militärschläge gegen Irans Atomanlagen wahrscheinlicher macht. Denn angesichts der momentanen Irrationalität der iranischen Führung wird kein israelischer Premier sein Volk der Gefahr eines atomaren Holocaust aussetzen wollen."

Aftenposten

"Das Aufbrechen der Siegel an wichtigen iranischen Atomanlagen ist eine dramatische Herausforderung der Weltgemeinschaft. Wir können sehr schnell vor einem gefährlichen Konflikt in einer explosiven Region stehen. Auch die Internationale Atomenergieorganisation ist besorgt, weil die Führung des Iran ihre Versuche zur Herstellung von spaltbarem Material fortsetzen will. (...) Die Großmächte haben es jetzt mit einem Land zu tun, das den Holocaust leugnet und dessen Präsident will, dass Israel nach Europa verpflanzt wird. Dieses Land bewegt sich auf den Besitz von Atomwaffen zu. (...) UN-Sanktionen könnten ein Weg sein. Es kann aber auch auf die Anwendung militärischer Machtmittel zulaufen. Jetzt ist höchst aktive Diplomatie gefragt, die völlige Einigkeit der Vetomächte im Sicherheitsrat erfordert. Das wird nicht nicht leicht."

Süddeutsche Zeitung

"Der Tanz um die Kontrolle des iranischen Atomprogramms folgt einer derart komplizierten Schrittfolge, dass selbst die Profis vom Diplomaten-Ballett nicht mehr mithalten können. Der Iran hat nun die von der Atomenergiebehörde angebrachten Siegel gebrochen und beginnt mit der umstrittenen Forschungsarbeit - und dies ungeachtet aller Warnungen, Mahnungen, Drohungen und Vermittlungsangebote, die in den vergangenen Monaten ausgetauscht wurden. Symbolisch zerstört ist damit auch das letzte bisschen Vertrauen, das zwischen der Atomenergiebehörde und Teheran bestanden hatte. (...) Was aber wäre die richtige Reaktion auf die Provokation? Mehr noch: Was eigentlich könnte den Iran bewegen, von seinem Kurs abzulassen und Gespräche über die kontrollierte Atomnutzung zu führen? Wenn die verhandelnden Europäer, die Russen oder die USA eine Antwort wüssten, dann müssten sie sich nicht in so düsteren wie leeren Drohungen ergehen. Teheran wird nicht zur Einsicht kommen, wenn nun der Abbruch der Verhandlungen angedroht wird - diese Verhandlungen sind faktisch schon tot. (...) Nur wenn die vernunftbegabten Kräfte im Iran die Gefahr einer ökonomischen Isolation erkennen, besteht die Hoffnung, dass der Druck wächst und vielleicht sogar (Präsident Mahmoud) Ahmadinejad in seiner Radikalität Einhalt geboten wird. Worte jedenfalls scheinen ihn nicht zur Vernunft zu bringen."

Handelsblatt, Düsseldorf

"Das Entfernen der Siegel an der Atomanlage in Natanz passt nahtlos in die bisherige Linie des iranischen Präsidenten. Mit seiner Außenpolitik, mit antiisraelischen Ausfällen, vor allem aber mit einer rigorosen Haltung in der Atompolitik verschafft er sich politisch Luft. Der Lärm um die Frage, ob Iran das nukleare Know-how für den Bau einer Atombombe nutzen will, übertönt seit Monaten seine innenpolitischen Probleme. Zwar hat der Präsident mit seinem konfrontativen Kurs auch das konservative Lager gespalten. Aber die Zahl derer, die ihn für seinen Mut preisen, den USA und Israel die Stirn zu bieten, ist nicht zu unterschätzen. (...) Der jüngste Schritt demonstriert seine Unabhängigkeit von der Meinung des Auslands. Gleichzeitig zeigt er aber auch, dass der Iran bislang kaum Konsequenzen aus seinem unbeugsamen Verhalten erwachsen. Das Ausland droht und warnt, spricht regelmäßig von 'roten Linien', die nicht überschritten werden dürften, doch konkrete Strafmaßnahmen bleiben bisher aus. Die Front gegen den Iran ist bei weitem nicht so geschlossen, wie es gelegentlich den Anschein hat. Kurzfristige ökonomische Interessen überwiegen bei manchen Staaten die Reaktion auf mittelfristige politische Gefahren. Andere Regierungen wiederum ergreifen lieber jeden diplomatischen Strohhalm, als auch nur über eine militärische Option nachzudenken. Die wäre in der Tat fatal. Aber sie könnte Realität werden, wenn irgendwann einem der Beteiligten die Geduld ausgeht."

Stuttgarter Zeitung

"Der Westen macht gegenüber dem Iran eine unglückliche Figur - um es vorsichtig zu sagen. Mal trifft Teheran Vereinbarungen mit dem Westen, dann bricht es sie wieder. Dann kommen energische Worte aus Berlin, Paris und Brüssel. Sonst nichts. Dann kündigt der Iran an, er werde sein Atomforschungsprogramm wieder aufnehmen. Und wieder beginnt das Katz-und-Maus-Spiel. Weder in Washington noch in Brüssel, Paris oder in Berlin hat man eine tragfähige Strategie gegenüber Teheran entwickelt. So verstrickt man sich immer weiter in folgenlose Drohungen. Man muss es klar und deutlich sagen: Der Iran hat dasselbe Recht wie alle Staaten, Kernenergie friedlich zu nutzen. Des Weiteren fällt es schwer einzusehen, warum man im Westen zwar Pakistan, Indien und Israel das Recht zugesteht, Atomwaffen zu besitzen, dem Iran aber nicht. Eine logische Begründung, die für die Iraner verständlich wäre, gibt es jedenfalls nicht. Die iranische Führung wird außerdem sehr genau beobachten, wie vorsichtig die Supermacht USA mit Nordkorea umgeht. Sobald ein Staat Kernwaffen hat, ist er nahezu unangreifbar. Das zeigt Nordkorea. Ist es so schwer zu begreifen, dass der Iran unangreifbar werden will? Wenn sich aber der Westen wirklich zu ernsthaften Sanktionen aufraffen sollte, dann müsste er auch sehr genau die Folgen beachten. Denn Teheran hat sehr großen Einfluss im benachbarten Irak. Es kann die Aufständischen gegen die US-Truppen unterstützen und das Chaos im Irak vergrößern. Und Indien wie China liegt an guten Beziehungen zum Iran, denn sie sind auf das Land als Öl- und Gaslieferant angewiesen. Der Westen ist ohnmächtig."

"Dernières Nouvelles d'Alsace" (Strassburg):

"Der Westen kann sich noch so sehr empören und mit dem UNO-Sicherheitsrat drohen, der Iran riskiert nichts. Was den Wirtschaftskrieg anbelangt, so wagt ihn Europa nicht: Der kleinste Tropfen Erdöl zählt. Vor allem für Großbritannien, Deutschland und Frankreich ist es eine schallende Ohrfeige. Nach jahrelangen Palavern und kompromittierenden Aktionen, bei denen naiv auf die Chancen der iranischen Reformer gesetzt wurde, glaubten die Europäer, ein Regime zähmen zu können, das tagtäglich alles, was nach Demokratie aussieht, mit Hasstiraden überschüttet."

Liberation, Paris

"Das Regime in Teheran hat sich also für die Zuspitzung des Atomstreits entschieden, um sich in kleinen Schritten und verdeckt seinem letztlichen Ziel zu nähern. Man könnte das als eine subtile Verhandlungskunst verbuchen, die Krise im Sinne iranischer Interessen zu lösen. Doch zu dem Bruch der mit den Europäern in der Atomfrage getroffenen Vereinbarungen gesellen sich Äußerungen des iranischen Präsidenten, der zur Zerstörung Israels aufruft. Der Iran wird mit den politischen Manövern fortfahren, um an die Atombombe heranzukommen. Ein internationales Zusammengehen, um Teheran vor den Sicherheitsrat zu bringen, wäre das Einzige, was die Iraner zur Umkehr zwänge."

The Daily Telegraph

"Auf Teherans unilaterale Entscheidung zur Wiederaufnahme der Urananreicherung hat die Internationale Atomenergie-Organisation, die im Auftrag der Vereinten Nationen die Nuklearaktivitäten der Ayatollahs kontrollieren soll, erwartungsgemäß lahm reagiert. Mohammed el Baradei, der mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Chef der IAEO, erklärte nach dieser offenen Herausforderung lediglich, die "internationale Gemeinschaft" würde "die Geduld verlieren". Stattdessen hätte er sagen sollen, dass die jüngste Provokation Teherans nun das Fass zum Überlaufen bringt und dass er dem IAEO-Verwaltungsrat in Wien empfiehlt, das Iran-Problem dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als höchst dringliche Angelegenheit zu übertragen."

La Repubblica

"Mit einer symbolischen Geste - dem Bruch des Siegels der Vereinten Nationen am unterirdischen Nuklearwerk von Natanz, in den Bergen bei Isfahan - hat der Iran unter Präsident Mahmoud Ahmadinejad die Forschung und die wissenschaftlichen Experimente auf dem Nuklearsektor wieder aufgenommen und dabei die internationalen Abmachungen aus dem Jahr 2004 gebrochen. (...) Schon seit einigen Wochen hat der iranische Präsident gedroht, seine nuklearen Ambitionen wieder zu beleben, die nach wie vor als eine Angelegenheit des nationalen Stolzes in der öffentlichen Meinung Irans gelten, die zugleich empfänglich ist für die Propaganda der Ayatollahs über den rein friedlichen Charakter des Atomprogramms. Aber im Ausland vertraut niemand den Versicherungen Teherans, und dies auch deshalb nicht, weil es als paradox erscheint, dass eines der weltweit größten Erdölländer Milliarden ausgeben will, um elektrische Energie aus dem Atom zu gewinnen."

Tages-Anzeiger, Zürich

"Wollen die Europäer nicht völlig das Gesicht verlieren, müssen sie nun das tun, was die Amerikaner seit Monaten fordern: Teherans Atomprogramm vor den UNO-Sicherheitsrat bringen. Immerhin haben die EU-Drei gezeigt, dass sie der Diplomatie wirklich eine Chance geben wollten. Viele mit dem Iran sympathisierende Staaten im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde werden jetzt eher bereit sein, der Weiterleitung des Problems an den Sicherheitsrat zuzustimmen. Der wird den Iran vermutlich verurteilen. Doch was kommt dann? Sanktionen? Im Iran hat eine politische Fraktion die Macht ergriffen, die sich nichts sehnlicher wünscht als internationale Isolation, weil sie hofft, so die Menschen im Land hinter sich zu scharen."

La Stampa

"Jetzt hat Teheran eine Wendung unternommen und angekündigt, dass die Nuklearanlage von Natanz, an der die Vereinten Nationen zuvor ihre Siegel angebracht hatten, die Produktion wieder aufnimmt. Warum hat Teheran dies getan? Man kann sich verschiedene Beweggründe denken. Eine ist der Wunsch, das in der Öffentlichkeit populäre Thema der nationalen Unabhängigkeit und der Autonomie der nationalen Entscheidungen auszunutzen, um im Innern Irans gewisse Meinungsverschiedenheiten zu besänftigen, die durch den Radikalismus des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad entstanden sind.

Ein anderes Motiv könnte es sein, die Verhandlungen mit Russland, einem traditionellen Freund Irans, zu beschleunigen, um von Moskau Uran zu vorteilhaften Preisen und Bedingungen zu bekommen. Oder ist es dem neu gewählten Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad wirklich ernst und hat er entschieden, die atomare Karte bis zum Ende auszuspielen?"

Financial Times "Die trotzige Entscheidung des Iran markiert das Ende der Verhandlungsstrategie, die die Europäer seit zweieinhalb Jahren verfolgt haben. Nachdem sie sich zurückgehalten hatten, um jeden möglichen Kompromiss schließen zu können, ohne etwas im Gegenzug zu erhalten, sollten die Europäer den Gouverneursrat der Internationalen Atomenergieorganisation davon überzeugen, die Verstöße des Iran unverzüglich an den UNO-Sicherheitsrat zu verweisen. (...) Ansonsten wird der Iran auf dem Weg zum 'Punkt ohne Wiederkehr' sein, an dem es (...) über genug Uran zur Anreicherung für eine Atomwaffe verfügen wird. Jetzt ist der Zeitpunkt für die Welt gekommen, sich auf eine Strategie zu einigen, um zu verhindern, dass der Iran diesen Punkt erreicht." (APA/dpa)