Paris/Frankfurt - Die Wiederaufnahme der Entwicklung der Urananreicherungstechnik durch den Iran wird am Donnerstag von zahlreichen europäischen Zeitungen kommentiert:

"The Guardian" (London):

"Die Internationale Atomenergiebehörde wird nun möglicherweise den UNO-Sicherheitsrat anrufen, wie dies (der britische Premierminister) Tony Blair verlangt hat. Ob dies geschieht oder nicht: Was folgt, ist unsicher. Aber machen wir keinen Fehler: Dies hat alle Bestandteile einer ernsthaften Krise. (...) Das Einzige, was Mut machen kann, ist, dass in den internationalen Reaktionen bisher Einigkeit herrscht: Russland - ein enger Verbündeter der Iraner - hat entschieden protestiert, ebenso wie das energiehungrige China. Das ist ein erheblicher Unterschied zu den Geschehnissen früher im Irak, als die USA und Großbritannien von den anderen drei Ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates isoliert waren."

"Le Monde" (Paris):

"Ist der Iran zu weit gegangen? Die - nicht gemeinsame, aber abgestimmte - Warnung der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates an Teheran, seine Verpflichtungen zu brechen, lässt dies vermuten. Moskau will eine Eskalation des Streits vermeiden und hat einen Ausweg vorgeschlagen: Russland will das Uran auf iranische Rechnung selbst anreichern. Die iranische Führung hat das Angebot weder abgelehnt noch angenommen. Sie diskutiert darüber mit den Russen. Dabei kann sie zu Recht annehmen, dass sie so lange vor Sanktionen sicher ist, wie diese Gespräche andauern. Die USA stecken im Irak fest und wollen vermeiden, dass sich das große Schiitenland weiter von ihnen entfremdet. Washington setzt daher ebenfalls weiter auf Verhandlungen, die von Sanktionsdrohungen begleitet werden. Den Iranern scheinen diese Drohungen gleichgültig zu sein. Vielleicht setzen sie auf den Widerstand der Russen und Chinesen, nachdem sie zuvor ohne großes Risiko auf den Kleinmut der Europäer gesetzt haben. Es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, dass sie sich irren und dass sich die Falle über ihnen schließt."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Geschlossen scheint die iranische Führung die Taktik zu unterstützen, dem Westen durch eine Wiederaufnahme des Programms in kleinen Schritten immer weitere Zugeständnisse abzuringen. Selbst eine Überweisung an den Sicherheitsrat nimmt man offenbar in Kauf. Im Iran herrscht die Ansicht vor, der Westen versuche mit den vor zweieinhalb Jahren aufgenommenen Verhandlungen auf Zeit zu spielen, da vereinbart worden war, dass Teheran seine atomaren Aktivitäten während der Verhandlungen als vertrauensbildende Maßnahme aussetzen sollte. (...) (Präsident Mahmoud) Ahmadinejad hat insbesondere durch seine antiisraelischen Ausfälle deutlich gemacht, dass er einem guten Verhältnis zum Westen keine Bedeutung beimisst und er nicht gewillt ist, mit seinen revolutionären Überzeugungen zu Gunsten iranischer Interessenpolitik hinterm Berg zu halten."

"Stuttgarter Zeitung":

"Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat es in diesen Tagen nicht leicht. Am Montag hatte er die gesamte EU-Kommission in Wien zu Gast, es ging um die EU-Verfassung, um Wirtschaftspolitik und um den Gasstreit zwischen Russland und China. Am Dienstag wartete die nächste weltpolitische Baustelle: der Iran und sein Atomforschungsprogramm. Also kritisierte Schüssel die iranische Staatsführung und erklärte, dass er ernsthaften Schaden für den Weltfrieden befürchtete, sollte der Iran in der Atomfrage nicht einlenken. Selten, dass der Kanzler eines kleinen Landes innerhalb kürzester Zeit so viele wichtige Themen zu behandeln hatte wie Schüssel in diesen Tagen (...), zumal die Auseinandersetzung mit dem Iran zu eskalieren droht, nachdem die Siegel der internationalen Atombehörde IAEO an der Nuklearanlage in Natanz entfernt wurden. (...) Tony Blairs Ankündigung könnte den Konflikt noch weiter verschärfen - auch innerhalb Europas. Schließlich wollten die USA den Sicherheitsrat schon längst mit dem iranischen Atomprogramm befassen, die meisten europäischen Länder hatten sich aber dagegen ausgesprochen und auf diplomatische Verhandlungen und die Einbeziehung der Atomenergiebehörde in Wien gesetzt. Denn sollte die Sache tatsächlich vor den Sicherheitsrat kommen und dort sogar eine Verurteilung des Iran beschlossen werden, dann wären wirtschaftliche Sanktionen die logische Folge, und die Scherben nur noch schwer zu kitten."

"De Volkskrant" (Den Haag):

"Für Deutschland, Frankreich, Großbritannien und für die Europäische Union insgesamt ist diese neue Demonstration iranischer Unabhängigkeit sehr peinlich. Sie haben viel Prestige in die Beratungen mit dem Iran eingebracht, die nach anfänglichem Zögern auch die USA unterstützen. Aber alle Vorschläge, Zugeständnisse und versprochene Belohnungen für Wohlverhalten haben nichts bewirkt. Die EU muss nun zeigen, dass ihre soft-power-Politik doch noch Substanz hat. Vor allem müssen die europäischen Unterhändler ihre eigenen Reihen geschlossen halten. Dann muss alles geschehen, um die Waffe der Sanktionen in Stellung zu bringen. (...) Angesichts des politischen Spaltmaterials, das schon jetzt Furcht vor einem atomar bewaffneten Iran in der Region erzeugt, ist es keine Option, sich in sein Schicksal zu ergeben." (APA/dpa/AFP)