Roman FreihslWien - "Beim Gläser polieren muss man ein extra Tuch nehmen, weil bei diesem die Fasern schlecht sind", weiß Jakob jetzt ganz genau. Auch dass beim Hemden-Bügeln die Knopfleiste umgedreht werden muss, damit die Knöpfe nicht schmelzen. Und ist einer dieser Knöpfe abgerissen, "brauch ich das Hemd jetzt auch nicht mehr zum Großmutter bringen". Ob er uns nicht durch die Schule führen wolle, fragt die Direktorin Heidemarie Schrodt. Jakob zögert. Dann: "Ich kann nicht. Ich muss noch Schuhe putzen." Denn diesen Freitag war Mädchen und Buben-Tag im Gymnasium Rahlgasse. Also ziehen wir ohne Jakob weiter in den Turnsaal. Dort steht die zierliche Martha im Getümmel, bläst sich zur Kraftlackelin auf, hebt den Arm und spannt den Bizeps. Gleich kann sie wieder demonstrieren, dass ihre Erscheinung tatsächlich täuscht. Legt sich auf den Boden, greift die Hände des anderen Mädchens, stemmt sich rein und schiebt ihre gut zehn Kilo schwere Kontrahentin von der Matte. "Rangeln und Raufen" für Mädchen. Rund 60 hatten sich angemeldet - nur 28 konnten hier mit machen. "Extremturnen" hatten sie schon in der Früh - jetzt kommt Ringen dran. Paarweise treten sie gegeneinander an: "Kein Zwicken, Beißen, Kratzen oder Boxen." Das Catchen fällt auch so wild genug aus. "Da sieht man, wie die Dirndln das genauso brauchen", grinst eine der beiden Betreuerinnen. "Können wir nicht öfter so einen Mädchen- und Bubentag haben", fragt eine verschwitzte Schülerin. Warum? "Weils so Spaß macht." Womit das Konzept dieses Projekttages wieder einmal aufgegangen ist. "Dem Mädchen- und Bubentag liegt die Erkenntnis zugrunde, dass dass Mädchen und Burschen ,unterschiedliche Kulturen‘ leben, die im Schulalltag sonst keinen Platz haben", erläutert Heidemarie Schrodt. Und an diesem Tag können wir alle unsere Rollen in ihre Gegenteile durchspielen, erleben und reflektieren. Und mit einem Mal sind die Mädchen und Buben plötzlich Thema - und nicht, wie sonst, gute oder schlechte, angepasste oder nicht angepasste Schülerinnen und Schüler." Solche Erfahrungen hat auch Elisabeth Sörhuus, Direktorin der Hjulsta Skolor in Stockholm während der letzten zwei Jahre gesammelt. Die Hjulsta Skolor ist neben einer Hamburger Schule Partner der Rahlgasse in einem Comenius-Projekt der EU. "Bei uns backen die Burschen Kuchen und versorgen echte Babies - während die Mädchen Gokart fahren und Klettern gehen", berichtet Sörhuus. Das sind Erlebnisse eines Tages - auf die man dann im Alltagsleben zurückgreifen kann." Das Selbstbewusstsein der Mädchen zu stärken hat an ihrer Schule besondere Bedeutung. Schließlich sind dort 97 Prozent der Schülerinnen und Schüler keine gebürtigen Schweden. "Sie kommen aus den unterschiedlichsten Kulturen der ganzen Welt. Und wir unterrichten in 33 Sprachen - denn in Schweden haben die Schülerinnen und Schüler per Gesetz das Recht, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden." Und einige sind von der Kultur des Islam geprägt, "wo die Rolle der Frau oft eine völlig andere ist", beschreibt Sörhuus. "Und dazu noch die sozialen Probleme in unserem Vorort von Stockholm. Da ist es unglaublich wichtig, Selbstvertrauen zu vermitteln." Kommenden Herbst startet ein neuer Unterrichtsgegenstand in der Hjulsta Skolor: Lebenskenntnis und Lebenskompetenz. Als in der Rahlgasse im Jahr 1994 der erste Mädchen- und Bubentag durchgeführt wurde, war hier das Rollenverhalten von Burschen und Mädchen auch noch ein vollkommen anderes. Auch das der männlichen Lehrer. "Nur wenige Tage vor dem Projekttag fragten die Kollegen, was wir denn für die Burschen vorgesehen hätten", erinnert sich Schrodt. "Wir konnten die Frage nur zurück geben." In aller Eile wurde ein Bubenprogramm entwickelt. Und dann die Schüler, die für das Buffet verantwortlich waren: "Die marschierten in den Supermarkt und stellten die Einkaufswagen einfach vor der Schule ab. Dann machten sie zwar belegte Brötchen - aber beim Austeilen fragten sie ,noch etwas Majonäse?‘ und klatschten Schoko-Sauce drauf." Ein In-Szene-Setzen, das in der "Kalten Küche für coole Buben" des Jahres 2000 nicht mehr denkbar wäre. Eine Gruppe widmet sich der künstlerischen Nachspeisen- Kreation, legt penibel Biskotten und Früchte in die Form. "Noch mehr Vanille-Sauce, Frau Professor?" Am Nebentisch bearbeiten sie Gemüse zu Dipp-Stäbchen. Wie hier die Stangensellerie mit dem Messer bearbeitet wird, gleicht zwar eher einem Schwertkampf - macht aber sichtlich ungeheuren Spaß. Nur einer geht schon im Raum herum: "Mir is sooo schlecht, mir is sooo schlecht!" Nähere Informationen zum Projekttag im Gymnasium Rahlgasse und zum Comenius-Projekt: www.grg6.asn-wien.ac.at/comenius/