Die immer wieder amüsante Frage "Was wurde eigentlich aus . . .?" ist im Falle von Santiago, die ja 2000 Europäische Kulturhauptstadt spielen durfte, nicht die allerlangweiligste. Seit einigen Jahren nämlich scheint Jakobs Endstation sich genau mit dieser Weichenstellung beschäftigen zu müssen: verschlafene Pilgerstätte bleiben oder zu einem Mekka der aktiven Kulturszene avancieren.
Einer der ersten Schritte in letztere Richtung wurde bereits vor dem Kulturhauptstadt-Jahr in den frühen Neunzigern mit dem Bau des Centro Gallego de Arte Contemporáneo gesetzt. Recht selbstbewusst steht das Gebäude der Kirche des San Domingos de Bonaval-Konvents gegenüber und schreit mit grellem Acryl im Inneren nach Aufmerksamkeit von außen. Zumeist die internationalen Kuratoren-Musts holt man sich ins Haus, das wie Teile des Universitätscampus vom portugiesischen und hier viel beschäftigten Architekten Álvaro Siza geplant wurde.
Südamerika light
Das Haus steht so verboten nah an der historischen Innenstadt, dass man sich's nicht nehmen lassen sollte, durch die Porta do Canmiño einen Blick auf das zu werfen, was die Unesco als schützenswert empfand. Keine drei Stunden verlangt der gut beschilderte Pfad dem Winterwanderer ab und bietet im Gegenzug mit dem Plaza da Immaculada auch jenen einen Hauch von Südamerika, die Langstreckenflüge scheuen.
Selbst der ärgste Verweigerer pilgernder Fortbewegung wird es zu schätzen wissen, wenn er durch Rúa de Casas Reales schlendert, gerade die letzten und entscheidenden Meter des Jakobswegs absolviert zu haben. Vorbei am Pazo de Fondevila, einem Palast aus dem 17. Jahrhundert, geht's zur Las Ánimas-Kirche, einem neoklassizistischen "Ausrutscher", der aber durch ein sehenswertes Relief mit einem nicht uninteressanten Fegefeuer-Comic zu besänftigen weiß. So schnell und schmerzlos kann es gehen, um zur dritten großen christlichen Pilgerstätte nach Rom und Jerusalem zu gelangen, denn am Ende der Straße wartet bereits Santiagos Kathedrale. Als die Mauren die dort errichtete romanische Kapelle im Jahr 997 zerstörten, überlegte man nicht lange und baute keine hundert Jahre später eine der ordentlichsten Kathedralen Europas an dieselbe Stelle, die im Wesentlichen bis heute in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben ist.
Aber der billig angeflogene und nicht zäh gewanderte Reisende war ja nicht gekommen, um die Restaurationsleistungen der Stadt zu bewundern, sondern um sich mit dem zu beschäftigen, was da jüngst hinzugekommen ist. Ob sich der Umweg in die Avenida do Burgo das Nacións wirklich lohnt, um das Auditorio de Galicia nur von außen zu sehen, bleibt aber zweifelhaft, denn das Gebäude wirkt ein wenig wie die Kopie des Zentrums moderner Kunst an anderer Stelle. Ein etwas weiterer Umweg loht sich aber auf jeden Fall. Da sich Santiago offensichtlich scheute, ihre galicische Kulturstadt, die Ciudad de la Cultura Galicia, in Zentrumsnähe zu errichten, muss man schon 15 Kilometer hinaus in Richtung Monte Gaías.
Hör- und Sehmuschel
Was einen dort erwartet, ist zwar bis heute immer noch eine ausgedehnte Baustellenparty, zu der Architekt Peter Eisenman seit 2000 lädt, das über 70 Hektar große Areal nimmt aber mittlerweile viel versprechende Formen an. Vielleicht hatte man auch etwas zu viel versprochen, denn die Kulturstadt, die ebenso groß werden soll wie das historische Zentrums Santiagos, hätte bereits 2005 mit einem weiterem Auditorium, einer Bibliothek mit Medienzentrum, einer Oper und einem Museum für Geschichte eröffnet werden sollen. Und dennoch ist der homogene Riesenkomplex, der mit seinen Falten und Rillen an eine überdimensionierte Jakobsmuschel erinnert, bereits jetzt äußerst besuchenswert, weil man ja nicht alle Tage verfolgen kann, wie Sehenswürdigkeiten entstehen.