Bild nicht mehr verfügbar.

Bewaffnete Polizeibeamte im Trainingsanzug gingen am Dach der Conollystraße 31 in Stellung. Eine erste Befreiungsaktion im Olympischen Dorf scheiterte. Weinberg und Romano starben noch an Ort und Stelle.

Foto: APA/DPA/Horst Ossinger
Drei Männer sitzen in einem Straßencafé in Paris. Sie handeln mit Informationen. Der alte Mann mit dem Bart wird nur als Papa angesprochen. Er kann Avner, dem jungen Geheimagenten aus Israel, den Aufenthaltsort von prominenten palästinensischen Terroristen verraten. Für jede Adresse gibt es 200.000 Dollar. Dazwischen sitzt Louis, der junge Franzose, der in diesem Spiel gern eine große Nummer wäre, aber neben seinem übermächtigen Papa nur ein kleiner Wicht ist. "Seit Napoleon war Europa nicht mehr so interessant", sagt der mysteriöse Patriarch noch, bevor er in einen Wagen steigt und verschwindet. Diese Szene aus Steven Spielbergs neuem Film Munich ist aufschlussreich. Sie spielt in den 70er-Jahren, nach dem palästinensischen Anschlag auf die israelischen Teilnehmer bei den Olympischen Sommerspielen in München 1972. Elf Opfer zählte Israel nach der dramatisch verunglückten Geiselbefreiung. Elf Schuldige zählte Israel später auf der Seite der Palästinenser. Spielberg hält die Bilder dieser 22 Personen in einer effektiven Montage gegeneinander: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Kopf um Kopf ist die Devise. Ein israelisches Geheimkommando wird ausgeschickt, um die elf inkriminierten Palästinenser zu töten – einen nach dem anderen, in einer Mission, die von Italien nach England, von Zypern in den Libanon und immer wieder nach Paris führt.

Der Film Munich ist "inspiriert von realen Ereignissen", heißt es im Vorspann. Es handelt sich aber um keinen Dokumentarfilm, sondern um einen Thesenfilm, zu dem der berühmte jüdische Dramatiker Tony Kushner das Drehbuch geschrieben hat. Es basiert vor allem auf einem Buch von George Jonas mit dem Titel Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team (in der deutschen Fassung: Die Rache ist unser), dessen Wahrheitsgehalt sehr umstritten ist.

Spielbergs trübe Quellen", betitelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Text der Journalisten Yossi Melman und Steven Hartov. Sie halten den Kronzeugen von George Jonas, ein angebliches ehemaliges Mitglied des israelischen Geheimdiensts namens Yuval Aviv-Abayov, für unglaubwürdig und unzuverlässig. Jede Kritik am historischen Detail müsste zuerst aber den Bauplan des Films Munich anerkennen, der allgemeine Fragen von Legitimität und Vergeltung vor dem Hintergrund des spezifischen Konflikts in Israel verhandelt.

Dass Europa "seit Napoleon" nicht mehr so interessant für Geheimagenten war, traf in den 70er-Jahren zu. In zahlreichen europäischen Ländern gab es terroristische Gruppen, die sich bei ihren Missionen häufig mit einer internationalen Sache "solidarisierten". Die Kontakte der RAF zur PLO sind nur ein Beispiel für die vielfältigen Verbindungen zwischen Gruppen, die ganz unterschiedliche Ziele verfolgten, durch ideologische Achsenbildungen aber eine unvermutete gemeinsame Basis bekamen. In Munich gibt es eine Szene, in der diese Unübersichtlichkeit ganz konkret wird: Die fünf Israelis kommen bei einem Einsatz in Athen in eine konspirative Wohnung, die später in der Nacht auch noch von einer anderen (palästinensischen!) Gruppe beansprucht wird. Wie in einem Stand-off bei Tarantino stehen sich die Männer gegenüber, Pistolen an den Schläfen, Schweiß auf der Stirn, bis Avner die rettende Idee hat: "Wir sind von der ETA!", ruft er aus. Die baskische Separatistenorganisation steht in der Logik des Terrorismus auf der Seite der PLO, deren Vertreter Ali die Lüge wenig später durchschaut - aber da hat er schon eine Kugel im Leib.

Munich ist ein Versuch, die Logik des Terrorismus mit der Legitimität staatlichen Handelns zu vermitteln. Dabei bilden zwei Ereignisse die historische Klammer, die im Film direkt nicht vorkommen: Die Gefangennahme von Adolf Eichmann durch israelische Agenten im Jahr 1960 und der Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001. Es war de facto eine Entführung, als der Mossad den untergetauchten Naziverbrecher Eichmann in Argentinien aufspürte und nach Israel brachte. Gleichwohl ist für den Spezialagenten Avner in Munich dieser Fall von staatlich sanktionierter Illegalität das Vorbild für die eigene Mission.

Eichmann wurde jedoch einem Gericht vorgeführt, während die hochrangigen Palästinenser nach 1972 vorwiegend durch Bombenanschläge umgebracht wurden. Die ganze erste Hälfte von Munich bezieht ihre Spannung vorwiegend aus dem Risiko von Kollateralschäden, das daraus erwächst - ein Liebespaar in Zypern, ein Mädchen in Paris, eine Killerin in den Niederlanden geraten in die Feuerlinie.

Spielberg und Kushner inszenieren den Rachefeldzug der fünf Vertreter Israels als symbolischen Dialog - immer wieder werden die Fernsehbilder von Flugzeugentführungen und Anschlägen durch Palästinenser zwischen die Mordanschläge von Avner, Steve, Carl, Robert und Hans geschnitten. Das Talionsgesetz einer direkten Vergeltung wird in Munich gebrochen durch die Schattenwelt der internationalen Geheimdienste, die undurchdringlich ist, aber überall hineinwirkt. Es ist diese Atmosphäre, die den idealistischen Avner seinen Auftraggebern entfremdet. Er bekommt Zweifel an einem Terrorismus im Namen des Staates Israel. Das Pathos seiner Mutter ("endlich haben wir einen Platz auf dieser Erde") wird durch das Pathos des Palästinensers Ali ("Heimat ist alles") egalisiert.

Der Schauplatz und das Motivgemenge des internationalen Terrorismus bekam in den 80er-Jahren einen neuen Schwerpunkt mit den Geisterkriegen (Steve Coll) der CIA in Afghanistan und im Irak. Spielberg und Kushner schlagen eine Brücke zwischen dem nationalistischen Terrorismus der 70er-Jahre und dem Fundamentalismus der 90er-Jahre. Munich endet mit einem Bild der Twin Towers in Manhattan. Die Verbindung zwischen dem "Schwarzen September" und "Al-Kaida" verläuft nicht direkt, sondern in den Grauzonen, die Staaten schaffen, wenn sie das Gesetz hintergehen. Diese Botschaft von Munich ist sicher nicht nur an Israel gerichtet, sondern mindestens so sehr an das Ursprungsland dieses Films, dessen deutlich von Tony Kushner gestaltete Geschichtspolitik ständig mit den Thrillerinstinkten des Regisseurs ringt. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.1.2006)