Kunst und Kultur
Kunst-Heimsuchung am Tatort Oberwart
Jelineks "Stecken, Stab und Stangl"
Oberwart - Wohldurchdacht geht in der Oberwarter Versteigerungshalle des Burgenländischen Schweinezuchtverbandes, in welcher untertags über Nutzungsdauer und Schlachtkörperwert von Reinzuchtebern und Reinzuchtsauen verhandelt wird, Elfriede Jelineks hierzulande zurzeit einziges am Spielplan befindliche Stück über die Betonbühne dieser Todesarena. Mit der Premiere des Epitaphs Stecken, Stab und Stangl, im Gedenken an die vor fünf Jahren ermordeten Roma verfasst, hat der Schauplatz der Kunst den Tatort nun eingeholt. Im Publikum sitzen nur die falschen Leute.
Dabei trüge Jelineks "Handarbeit", so der Untertitel, doch auch den Aufklärungsauftrag im Programm: Das Publikum kann sich als jenes denken, welches im Februar 1995 in Funkbildern suhlte oder Stab(erl)-Reime von den hetzerischen Lippen las. So müssen auch die Frauenfiguren in Angelika Messners Regie beim Kleinformat-Blättern geschlossen zum Orgasmus kommen. Die junge Oberwarterin, zwei Jahre als Regieassistentin an Frank Castorfs Volksbühne in Berlin, jetzt als Freie tätig, kommt dem nunmehr vom Vokabel des so genannt Postdramatischen belagerten Theatertext in ihrer Inszenierung erstaunlich gut nach. Prinzipien der Narration und Figuration werden in Jelinek-Texten mit Hingabe gebrochen. Figuren und Handlung sind in sich zerfetzt wie die im Zentrum des Halbkreisrundes hinter den Eisengattern angeordneten Leichenteile der vier Roma.
Aus den schön gehäkelten Heimluken (in realiter: Schweinskoben) lugt die Figurenrunde heraus - Brigitte Antonius, Berenice Pahl, Eva Weissenböck, Gernot Plass und Christian Pogats -, um dann mit Schweinsaugen über den Toten sachte (Man will doch keinem wehtun! Schon gar nicht sich selbst!) ihre Beine zum Tanz zu erheben: "Arrivederci Roma".
Was an Chor- und Gymnastikleistungen anfänglich vom kongenialen Jelinek-Regisseur Einar Schleef abgeschaut wirkt, entwickelt schnell vollkommene Eigenständigkeit. Der komplizierte, montierte Text wird tatsächlich erfahrbar: Häkeln, Kotzen, Lachen verrinnen zu einem klarsichtigen Totentanz, zu Zigeunermusik und in Zeitlupe bringt man einander um und steht wieder auf, um Mörder zu sein. Chormünder voller Lachen: "Kein schöner Land".
Margarete Affenzeller
für
Der Standard