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Toll trieben es die Alten an der Tafel von Maria Saal: v. li. Toni Böhm, Josef Bilous und Bernhard Schir.

Foto: Neubauer/Reuters
Vielleicht, weil Turrinis Jugenderinnerungen gar milde glänzten. - Unter den Premierengästen im Klagenfurter Stadttheater: der Herr Bundespräsident.


Klagenfurt - Wie einst, zu Goldonis Zeiten, das unternehmerische Bürgertum dem gemeinen Volk entsprossen war, so entwuchs, in einer ganz äußerlich wirkenden Umkehrung, vor rund 40 Jahren dem finsteren Schoß der landgestützten Bourgeoisie das lebensfrohe Volk der Künstler.

Eine namenlose Überraschung bleibt in der Retrospektion: Peter Turrini, zeitgenössischer Autor des unter beispiellosen Akklamationen jetzt im Klagenfurter Stadttheater uraufgeführten, kunstgenetischen Gartenkonversationsstückes Bei Einbruch der Dunkelheit, bezieht sich selbst ausdrücklich nicht ein in den Kreis derer, die hier zu Lande der "Moderne" auf die noch wackeligen Beine halfen.

Die mit einem in lichte Irrsinnshöhen hoch geschraubten Kunstgeschwätz die Zeit totschlugen, mehr noch aber ihre je wechselnden Launen befriedigten, ihre teils pädophilen Ablenkungsmanöver als trunkene Possen inszenierten. Die, im Landadelsschatten des vermögenden Tonsetzers Gerhard Lampersberg zu Maria Saal, ihre ersten gestrichelten Verse, ihre noch locker geballten Tontrauben einer Welt entgegenschleuderten, die mindestens in ihrer Kärntner Mehrzahl nichts von den Segnungen der Avantgarde wissen wollte.

Man schreibt das weiter nicht bedeutsame Jahr 1959. Chruschtschow reist zu diesem Zeitpunkt in das Warmbad Villach, doch vom hügeligen Umland bleibt die liederliche Kolonie blickdicht abgeschottet. Ein Gartenkiesplatz wird von einem finster grauen Meierei-Gebäude abgegrenzt, während zur Linken eine hohe Efeuhecke die Möglichkeit einer Rokoko-Lustwandelei mit vager Freude am Protz neckisch einräumt (Bühne: Bernd-Dieter Müller).
Ein Herbsttag wie tausende anderer auch - einer dieser moussierenden Landwein-und Langeweiletage, die das Tschechow-Personal vom Arbeiten, das funktionslos gewordene Bürgertum vom Prosperieren abhalten. In das Gebrumm eines Traktors mengen sich irre Eingebungen, dominieren die mutwilligen Redensarten. Unwillkürlich wird beim Kuchenverschlingen ein so genannter "philosophischer" Gedanke geäußert.

Der Schwiegersohn der alten "Gräfin" (Gertrud Roll), einer züngelnden Salon- und Salettlschlange, ist der käsig wandernde Mond in Regisseur Dietmar Pflegerls bravem Tag-und Nachtstimmungslabor.

Gesellschaftslampion

Der Komponist Philippe (Bernhard Schir) erscheint (zunächst im Sarg aufgebahrt ohne Deckel) als gedunsener Himmelslampionkörper in Sommerleinen, der fortan die Tafel mit seinen Exzentrizitäten wüst überzieht - immer mit mokanter Selbstgelächterlippe. Der einen dicken Buben in Lederhosen wie ein Geburtstagsgeschenk vor die Meute zerrt und das ungeschlachte Kind Ministrantenverse aufsagen lässt, die an das Gotterbarmen denken lassen.

Der Bub ist niemand Geringerer als: Turrini selbst. Er war, lässt uns das Stück wissen, dabei - und gehörte doch nicht eigentlich dazu. Das Kind (Florian Pacher) starrt dicke Beschämungslöcher in den Künstlermuff. Das Sommergeplänkel wahrt die Halbdistanz: zu Thomas Bernhard, der in Josef Bilous' verkniffener Maske als bäuerlich geschorener Voralpendandy unverbindlich wiederkehrt.

Zu Maja Lampersberg, die in Ruth Riesers Gestalt wie ein elegantes Glühwürmchen durch einen wolkigen Frustrationshimmel segelt.

Zu einem irgendwann "real" gewesenen Anwalt, der in Toni Böhms Kärntner Verdrängungstracht zum rundum Unflat ausspuckenden Gemütsnazi anschwillt, um dann wie ein abgespeckter Überlebenshofrat davonzustelzen - höchstwahrscheinlich, um den Viergesangsverein völkisch auf Vordermann zu bringen. Eine sicher erstellte Skizze! Zu größerer, womöglich welttheatralischer Entschiedenheit wollen sich dann aber weder Stück noch Inszenierung aufschwingen. Turrini unterstellt ausgerechnet seinen "exzentrischsten" Künstlerfiguren, sie wären an bürgerlicher Treue, an moralischer Fassadenrenovierung interessiert.

Man möchte glauben, die von der Erstickung durch Müßiggang akut bedrohte "Claire" (Rieser) riefe irgendwann aus: "Nach Moskau!". Aber in Turrinis Seelenfahrtenbuch steht irgendwann nur noch "Treibach/Althofen". Kein Ärgernis, diese beflissene Rekonstruktion einer (zunächst) wirkungslos bleibenden Entscheidung für die Entwicklung der Moderne in Österreich. Aber so doch eher die abgegriffene Bahnsteigkarte im Reich der Provinzialität. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2006)